KI saugt Inhalte ab – aber Verlage zahlen drauf
MVFP impuls | Herr Doub, Herr Triebel, wie deutlich spüren Ihre Häuser die Auswirkungen der KI-Suche auf den Traffic Ihrer Angebote und wie hat sich das Nutzerverhalten seit Januar konkret verändert?
Jonas Triebel | Aktuell erleben wir die größte Veränderung im Nutzungsverhalten seit der Gründung von Google. Bisher waren Suchmaschinen ein Bindeglied zwischen Nutzer und Publisher. Durch die von der KI erstellten Zusammenfassungen hochwertiger Publisher-Inhalte wird die Suchmaschine nun aber selbst zum Anbieter von Inhalten, für die sie allerdings keinerlei Nutzungsrechte besitzt. Diese Auswirkungen sind seit Beginn des Jahres deutlich zu spüren. Die KI-Suche führt zu einem hohen Anteil an sogenannter »no click search«, das merken die Medienhäuser deutlich. Und wir dürfen eine Sache nicht vergessen: Das ist erst der Anfang dieser sich rasant beschleunigenden Entwicklung!
Jesper Doub | Vor allem bei unseren Ratgeberthemen spüren wir einen Rückgang des Traffics um bis zu 30 Prozent. Wir haben ein sehr breit aufgestelltes und reichweitenstarkes Portfolio im Health-Bereich, dort merken wir den Einbruch am deutlichsten.
Die Ankündigung, dass Google die KI-Overviews zeitnah auch für Discover einführen möchte, ist eine sehr besorgniserregende Entwicklung. Auf der einen Seite stehen wir Verlage mit unseren aufwendig von hoch qualifizierten Journalistinnen und Journalisten erstellten Inhalten und auf der anderen Seite US-amerikanische Monopolisten, die mit diesen Inhalten ungefragt – und unbezahlt! – ihre eigenen Dienste auf Kosten der Verlage in den Markt drücken.
Aber es gibt auch positive Nachrichten: In den Bereichen Entertainment und Food bewegen wir uns auf einem sehr stabilen Niveau und wachsen sogar leicht. Hier geben wir offensichtlich bessere Antworten, als es die KI aktuell kann.
Gibt es bereits erste wirtschaftliche Auswirkungen – etwa in Werbeerlösen oder Hosting-Kosten –, die direkt auf KI-Suche oder automatisiertes Scraping zurückzuführen sind?
Triebel | Leider ist es ja so, dass die Medienhäuser für die massenhaften Zugriffe der KI-Search auf urheberrechtlich geschützte Inhalte auch noch bezahlen müssen. Hosting von Inhalten wird in der Regel nach Zugriffen abgerechnet, auch wenn dieser Zugriff von einem Bot kommt. Bei den Erlösen erleben wir insbesondere im transaktionsbasierten Affiliate-Geschäft einen signifikanten Rückgang. Mit anderen Worten: Unsere Inhalte werden vollumfänglich von den Bots »abgesaugt« und wir bezahlen auch noch die Rechnung dafür.
Doub | Das Scraping der Bots führt technisch natürlich auch zu Traffic und damit Bandbreitennutzung und Rechnerkapazitäten. Insofern ist das Scraping für uns besonders teuer, es entstehen Hosting-Kosten, ohne im Gegenzug dafür eine Chance auf z. B. Werbeerlöse zu bekommen. Für einige Betreiberinnen und Betreiber ist das heute schon existenzbedrohend. In den USA, dem Mutterland dieser Entwicklungen, gibt es schon reihenweise Pleiten kleinerer Betreiber.
Ähnliches ist auch auf den deutschen und europäischen Märkten zu befürchten. Es braucht dringend politische Leitplanken für die Betreiber. Die Medienwelt, wie wir sie kennen, steht am Beginn einer dramatischen Entwicklung.
Herr Triebel, beim Mittagstalk des MVFP Bayern sprachen Sie von einem »Wendepunkt im Online-Journalismus«. Was macht diesen Umbruch für Sie so tiefgreifend und möglicherweise unumkehrbar?
Triebel | Aus meiner Sicht ändert sich die Wertschöpfungskette fundamental, wenn User die von Publishern aufwendig produzierten Inhalte nicht mehr auf der monetarisierbaren Website des Publishers lesen, sondern vielmehr direkt in ihren Suchergebnissen finden. Zahlreiche Anbieter von AI Search beginnen nun damit, eigene Werbeplätze in den KI-Resultaten anzubieten. Diese Werbeplätze entstehen durch unsere Inhalte, nur nicht mehr auf unseren Webseiten. Das kann so nicht bleiben. Ich kann sogar sehr gut nachvollziehen, dass User die neuen KI-Zusammenfassungen gut und nutzwertig finden. Schließlich bestehen diese aus hochwertigen Inhalten von Journalistinnen und Journalisten. Unsere Vielfalt und Qualität der redaktionellen Angebote kann aber nur überleben, wenn sich dieser Journalismus auch in einem fairen Wettbewerb am Markt finanzieren kann. Die KI-Suche nimmt den Publishern allerdings diese Möglichkeit.
Wie bewerten Sie die aktuellen Strategien im Umgang mit KI-Suche: Blockieren, verhandeln oder kooperieren – welcher Weg erscheint Ihnen derzeit am aussichtsreichsten?
Triebel | Ich denke, alle drei Optionen ergänzen sich gut. Ich empfehle zunächst ganz klar, urheberrechtlich geschützte Inhalte nicht einfach kostenfrei den KI-Bots anzubieten. Dieser Schritt stellt die Grundlage für Verhandlungen und einen offenen und fairen Dialog mit KI-Anbietern dar.
Doub | Wir als Medienhaus, das all seine Userinnen und User jeden Tag mit hochwertigem, sorgfältig recherchiertem Content versorgt, treten klar dafür ein, ebendiesen von unseren Journalistinnen und Journalisten – von Menschen! – produzierten Content zu schützen. Scraping, wie es die großen Anbieter momentan tun, ist unfair, unsolidarisch und meiner festen Überzeugung nach auch in der aktuell praktizierten Form teilweise sogar illegal.
Gleichzeitig bleiben wir gesprächsbereit, um gemeinsam Lösungen für mehr Sichtbarkeit unserer Inhalte und eine faire Beteiligung der Verlage sicherzustellen. Technische Lösungsansätze wie z. B. von Tollbit finden wir als ersten Schritt dabei sehr interessant. Fakt ist: Wir Verlage sind – auch dank des MVFP – bereit, für unsere Rechte auch gegen die großen Konzerne, die viel zu oft glauben, über den Gesetzen zu stehen, zu kämpfen.
Sie haben betont, dass sowohl Plattformen als auch Politik gesprächsbereiter sind. Was brauchen Verlage konkret – national wie auf EU-Ebene –, damit faire Rahmenbedingungen entstehen können?
Triebel | Zunächst einmal fairen Wettbewerb zu gleichen Bedingungen für alle Marktteilnehmer. Beispielsweise ist es aus meiner Sicht notwendig, dass Plattformen für dort veröffentlichte Inhalte auch haftbar gemacht werden können. Gleichzeitig wünsche ich mir ein hohes politisches Verständnis für die Bedeutung der freien Presse. Wir erleben nahezu täglich, was mit Gesellschaften passiert, die keinen Zugang mehr zu freier und unabhängiger Presse haben.
Doub | Diese grundlegenden Regelungen gibt es aktuell nicht oder sind viel zu schwach. Während die Plattformen ungeniert unsere Inhalte scrapen, haben wir Verlage kaum eine rechtliche Möglichkeit, dagegen vorzugehen. Und wenn wir dagegen vorgehen wollen, dann haben wir kaum realistische Chancen, dies in angemessener Geschwindigkeit und mit vertretbarem Risiko zu tun. Wenn Sie als mittelständiges Medienhaus mit Google oder Meta in den Streit ziehen, dann sehen Sie sich einer Rechtsabteilung bei den Plattformen gegenüber, die größer ist als das eigene Verlagshaus. Das muss sich ändern. Und da wünsche ich mir von der Politik auch mehr Mut im Umgang mit den US-amerikanischen Multis. Es wird zugesehen, wie Recht gebeugt wird, und gleichzeitig mit zweierlei Maß gemessen.
Schon bei den Basics wie der Besteuerung sind wir meilenweit von fairen Bedingungen entfernt: Da gibt es die Tech-Unternehmen, die nicht nur mit unseren Inhalten Geld verdienen, sondern auf ihre Milliardengewinne noch nicht einmal, oder nur in sehr geringem Umfang, besteuert werden.
Da geht es übrigens um mehr, als nur die Finanzen der Verlage zu sichern. Wir – und nicht die Plattformen! – sind eine wichtige Stütze der Demokratie. Wir machen Journalismus für eine offene, informierte Gesellschaft. Doch das können wir nur, wenn es faire Bedingungen gibt.
Herr Doub, gibt es aus Ihrer Sicht Länder, die bei der Regulierung von KI und Medieninhalten als Vorbild für Deutschland oder Europa dienen könnten? Und warum?
Doub | Ich fange mit einer negativen Auswahl an: Die USA sind es definitiv nicht – und China erst recht nicht. Gerade in der Volksrepublik sieht man doch, wie mit künstlicher Intelligenz problematisch umgegangen wird. In den Händen einer autokratischen Regierung wird eine Technologie wie KI zur ultimativen Überwachungsmaschine.
So weit dürfen wir es – und werden wir es auch – in Deutschland, in Europa nicht kommen lassen. Genau deswegen ist eine Regulierung, die immer die Selbstbestimmung des Menschen im Blick hat, so wichtig.
Sehr positiv ist mir in jüngster Zeit Schweden aufgefallen. Mit Sana AI wird dort die komplette Behördenlandschaft mit KI ausgestattet, auf rechtssicherem Boden entwickelt und klug reguliert. Frankreich geht mit der eigenen KI Mistral einen ähnlichen Weg. Und Dänemark sticht in puncto Regulierung erfrischend furchtlos hervor. Wenn sich dieser kleine Staat sehr selbstbewusst gegen die US-Plattformen stellt und ihnen klarmacht, dass die dänischen Gesetze auch für US-Plattformen gelten und kein Vorschlag sind, dann frage ich mich, warum wir solche klaren und doch sehr selbstverständlichen Aussagen nicht auch aus einem deutschen Ministerium hören.
Beim Mittagstalk betonten Sie die Bedeutung von Zusammenhalt und einer »einheitlichen Stimme« der Verlage. Warum ist dieser Schulterschluss gerade jetzt entscheidend und wie unterstützt der MVFP insbesondere kleinere Häuser dabei?
Triebel | Schauen wir uns an, mit wem wir es hier zu tun haben: Die Plattformanbieter gehören zu den größten und mächtigsten Monopolisten in unserer digitalen Welt. Noch nie in der Geschichte der Menschheit gab es derart vermögende und einflussreiche Unternehmen. Die Mehrzahl dieser Unternehmen hat mehr verfügbares Kapital als so mancher Haushalt von EU-Mitgliedsstaaten. Denen möchte man ungern allein gegenübertreten und eine Allianz aller Verlage erscheint hier sehr sinnvoll.
Doub | Es geht wirklich nur gemeinsam, auch wenn wir im Markt Wettbewerber sind. Wir stehen vor den gleichen Herausforderungen, kämpfen mit den gleichen Problemen. Und das können wir gemeinsam viel besser. Zusammen haben wir eine viel lautere Stimme, als wir sie allein hätten. Der Verband bringt all diese Stimmen zusammen, bündelt und verstärkt sie. Davon profitieren vor allem die kleineren Player enorm. Und das ist auch gut so! Denn wir alle – egal ob milliardenschwerer Großverlag oder die kleine Boutique mit erfolgreichen Publikationen für die zugespitzte Zielgruppe – stehen gemeinsam für etwas Besonderes: für eine freie Presse, wie sie in Deutschland einzigartig ist.
Was bedeutet die KI-Ära langfristig für die Rolle der Medienmarken? Müssen sich Verlage strategisch neu aufstellen oder geht es vor allem darum, ihre Inhalte besser zu schützen? Und wo sehen Sie konkrete Chancen im Umgang mit KI?
Triebel | Ich denke, es ist wichtig, die Entwicklung der KI im eigenen Medienhaus nicht dem Zufall zu überlassen. Jedes Geschäftsmodell sollte auf Chancen und Risiken durch die KI geprüft werden. Hier werden sich neben all den Risiken auch wunderbare Chancen ergeben, die das Nutzungserlebnis aller Medienmarken stark verbessern können.
Doub | Vor allem müssen wir die Chancen, die uns die neuen Technologien bieten, konsequent nutzen. Das betrifft die Frage, wie Inhalte zukünftig distribuiert werden, genauso wie die Frage, mit welchen Tools wir unsere großartigen Geschichten recherchieren und inszenieren. Hierzu haben wir intern bereits eine Reihe von vielversprechenden Projekten angestoßen. Diese Herausforderung und Disruption ist anstrengend, aber gesund. Sie verhindert, dass wir satt und gefällig stehen bleiben – und das ist im Kern ein Geschenk.
Die Chancen des KI-Einsatzes fangen bei der Entlastung von Routineaufgaben an, die Freiräume für echte Arbeit am Produkt schafft. Für die Medienschaffenden bietet KI-basierte Recherche oft neue Perspektiven, die man vorher nicht realisieren konnte. Sprachbarrieren entfallen viel leichter und ermöglichen einen ganz anderen Blick auf internationales Geschehen und einen Austausch. Und am Ende des Tages schaffen wir mit der KI auch neue, passgenaue Angebote für unsere Leserinnen und Leser, die vorher nicht denkbar waren, z. B. Verbesserungen im Customer Service und natürlich die Entwicklung ganz neuer Geschäftsmodelle. Das sind alles gute Nachrichten und Möglichkeiten. Wir müssen eben nur die Rahmenbedingungen miteinander klären.
Sie beide engagieren sich ehrenamtlich im MVFP. Was motiviert Sie persönlich dazu und wie profitieren Medienhäuser ganz praktisch von der gemeinsamen Arbeit in Gremien und Arbeitsgruppen?
Triebel | Der MVFP bringt die klügsten Köpfe unserer Branche zusammen und gibt allen Medienhäusern in Deutschland eine starke Stimme. Es ist wichtig, sinnvolle Interessen gemeinsam zu vertreten, und die Arbeit im Verband macht Spaß und ist eine große inhaltliche Bereicherung.
Doub | Der Austausch, gemeinsame Meinungsbildung und Initiativen sind ein wichtiges Element, um mit den Herausforderungen umzugehen. Und wenn man an gemeinsame Positionen und Erfolge glaubt, dann muss man auch etwas beitragen. Ich freue mich sehr, dass dies in einem Mix über alle Größen unserer Medienunternehmen gelingt und dass der Austausch dadurch wahrhaft vielfältig ist.
Jesper Doub verantwortet bei der FUNKE Mediengruppe das Management sämtlicher Zeitschriftentitel und ist Geschäftsführer der FUNKE National Brands. Jonas Triebel ist Global Director of Transformation bei Foundry. Beide sind Vorstandsmitglieder des MVFP Bayern.
