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Horizont | Philipp Welte: „Die Presse muss unteilbar bleiben“

MVFP in den Medien Medienpolitik Print & Digital

MVFP-Vorstandsvorsitzender Philipp Welte spricht im Horizont-Interview mit Roland Pimpl über die Lage der Branche, die Notwendigkeit der Förderung, drohende Werbeverbote und die Transformation der Verlage.

Horizont, 20.04.2023, S. 4 + 5

Horizont/Roland Pimpl: Herr Welte, Sie arbeiten seit 30 Jahren im Verlagsgeschäft. Damals gab es noch kein Internet, das Publikum und Werbegeld abzieht. Sind Sie froh, die goldenen Zeiten erlebt zu haben – oder gerade nicht froh, weil sich die Lage jetzt umso trostloser anfühlt?
Der Vorteil einer langen Lebenslinie in unserer Branche ist, dass man umso besser weiß und umso überzeugter davon ist, was unsere eigentliche Mission in dieser Gesellschaft und in unserer Demokratie ist – jenseits unserer ökonomischen Bilanzen. Und dass man umso klarer sieht, dass die gesellschaftspolitische Relevanz dessen, was wir tun, noch niemals so hoch war wie heute.

Derzeit senden Sie zwei Botschaften aus. Als Lobbyist schlagen Sie Alarm und sagen: US-Digitalriesen und Kostenexplosion machen Zeitschriften platt, 30 Prozent der Titel sind existenziell gefährdet. Doch als Burda-Vorstand betonen Sie: Wir sind erfolgreich, auch digital. Andere Verlage sagen dies ebenso von sich. Was stimmt denn nun?
Dass wir Verlage plattgemacht werden, habe ich so nie gesagt, und ich glaube das auch nicht. Sondern ich sage: Die digitalen Zukunftsmärkte, in die wir uns mit hoher Energie und enormen Investitionen seit drei Dekaden hineinbewegen, sind besetzt von einer Handvoll US-amerikanischer Technologieunternehmen, die sich weder an europäische Spielregeln halten noch sich in irgendeiner Verantwortung sehen für die Inhalte, die sie verbreiten. Aber wir schlagen uns als Branche sehr gut: Nirgendwo auf der Welt wird das digitale Nachrichtenangebot so stark von Verlagsmarken geprägt wie in Deutschland.

Warum dann das Alarmschlagen?
Weil wir in den letzten Monaten die Grenzen unserer Kräfte erreicht haben. Wir Verlage leben unverändert aus unserem traditionellen Geschäft, also aus dem Verkauf und der Vermarktung unserer Zeitschriften. Allein aus den digitalen Erlösen lässt sich der Journalismus der Verlage noch lange nicht finanzieren, und zwei Drittel der fest angestellten Journalisten in Deutschland arbeiten für die Verlage. Die Ertragskraft des Magazingeschäfts muss gleichzeitig die notwendige digitale Transformation weiter finanzieren.

Wo die Verlage, wie Sie immer wieder betonen, gut vorankommen.
Ja, aber diese Veränderung ist nicht irgendwann abgeschlossen, sondern ist ein kontinuierlich beschleunigender Prozess. Und leider genau dort, in unserem analogen Kraftzentrum, hat uns das vergangene Jahr in allen Märkten sehr hart getroffen: Im Vertrieb und in der Vermarktung, vor allem aber sind in der Produktion die Kosten für Papier, Druck und Energie und im Vertrieb die Zustellkosten explodiert. Diese Komplexität der Herausforderungen lässt die Verlage auch noch in diesem Jahr an die Grenzen ihrer Selbstheilungskräfte stoßen und bedroht manche in ihrer Existenz.

Lobbys und Kritiker der Verlage gleichermaßen warnen, dass mit der Pressevielfalt auch die Demokratie stürbe. So ganz grundsätzlich stimmt das ja – doch muss man diese Großrhetorik so inflationär bei jeder einzelnen Unterhaltungstitel-Einstellung bringen?
Ich kann Ihnen da nicht ganz folgen. Tatsächlich haben die Verlage und die hinter ihnen stehenden Familien in Deutschland eine einzigartige Vielfalt an journalistischen Medien geschaffen, die es so in keinem anderen Land der Welt gibt. Diese vielen tausend Zeitschriften und Zeitungen sind für mich ein wesentlicher Teil des Fundaments unserer pluralistischen und liberalen Demokratie. Diese freiheitliche Demokratie sehe ich durch etwas anderes in Gefahr: durch Radikalität und Dogmatismus, der sich in den sozialen Netzwerken breit macht, wo ohne jede Kontrolle und Verantwortlichkeiten auch Hass, Hetze und Lügen verbreitet werden.

Und als Ausgleich die Öffentlich-Rechtlichen und der Verlagsjournalismus?
Ich sorge mich in der Tat um den freien demokratischen Diskurs in unserem Land, in dem sich nach aktuellen Umfragen fast die Hälfte der Menschen nicht mehr traut, ihre politische Meinung offen zu sagen. Das ist ein echtes Alarmsignal für unsere liberal verfasste Demokratie. In diesem Kontext wird klar, welche Relevanz das hat, was wir Verlage jeden Tag leisten – als ein Bollwerk der Wahrhaftigkeit und verantwortlich im Sinne des Presserechts. Wir sind das unabhängige Informations- und Navigationssystem für die Menschen und stehen ein für die Vielfalt und Freiheit der Lebensentwürfe und Meinungen, und damit für die Stabilität unserer Gesellschaft. Und das gilt für Zeitungen, für Nachrichtenmagazine, für das weite Feld der Unterhaltungs- und Special Interest-Titel genauso wie auch für die Fachpresse, die für unseren Wirtschaftsstandort Deutschland von unschätzbarem Wert ist.

Erleben wir gerade die beginnende Zerstörung des Zeitungs- und Zeitschriftenmarktes – oder vielmehr bloß eine Marktbereinigung?
Es gehört doch zu unserer alltäglichen Verantwortung, journalistische Produkte nicht nur zu entwickeln und auf den Markt zu bringen – sondern sie auch konsequent einzustellen, wenn sie eben nicht funktionieren und durch ihre Unrentabilität das gesamte System eines Verlages belasten. Diese kaufmännische Sorgfaltspflicht gilt gerade in einer Zeit knapper Ressourcen und hoher Kosten. Das tun wir bei Burda kontinuierlich.

Und RTL Deutschland bei Gruner + Jahr ganz besonders. Ist das, was dort passiert, eher nur ein Fall Bertelsmann – oder vielmehr ein Menetekel für die gesamte Branche?
Das ist definitiv ein singulärer Fall, der auch in seiner Dimension einzigartig ist – und bleibt. Weder ich noch der Verband haben zu beurteilen oder zu kommentieren, was zu dieser Managemententscheidung geführt hat. Aber als jahrzehntelanger Weggefährte unserer Branche wünsche ich mir, dass es für viele der teilweise ja legendären Gruner-Magazine eine gesunde Zukunft gibt.

Selbst wenn RTL/G+J über 2024 hinaus im MVFP bleibt, könnten bald Mitgliedsgelder fehlen: Dann, wenn deren Magazinumsätze durch die Schrumpfung des Portfolios unter entsprechende Beitragsbemessungsgrenzen rutschten. Was befürchten Sie da?
Ich fürchte wenig. Unser Verband steht auf einem kerngesunden Fundament, und wir gehen eher von einer Wachstumsperspektive für uns aus.

Wachstumsperspektive? Sind neue Mitglieder in Sicht?
Wir haben uns durch unsere Reform geöffnet für alle Medienhäuser, die sich der freien Presse und ihrer journalistischen Verantwortlichkeit im Sinne des Presserechts verpflichtet fühlen. Unser Selbstverständnis ist es, die Interessen der freien Presse zu vertreten, unabhängig von ihren Verbreitungswegen, und bei der Gestaltung der Märkte der freien Presse eine gewichtige Rolle zu spielen.

Unter dem Eindruck aller Ereignisse will das MVFP-Großmitglied Funke einen Runden Tisch aller Verlage. Teilen Sie Funkes hier erkennbare These, dass die Tische des MVFP und des Zeitungverbandes BDZV, den Funke verlassen hat, nicht rund genug seien?
Ich habe das als einen Ansporn zum Austausch gelesen und begrüßt. Unsere Branche hatte in den vergangenen Jahrzehnten oft eher einen Hang zum selbstgefälligen Monolog – da kann uns jeder an der Gemeinsamkeit orientierte Dialog nur guttun.

Funke will langfristig eine Fusion der Verlegerverbände. Aus Effizienzgründen, und weil im Digitalen die Segmentgrenzen ohnehin verschwimmen. Rückt die aktuelle krisenhafte Marktentwicklung dieses Thema nun auch Ihre Agenda?
Diese Frage hat viele Dimensionen, und sie taucht immer wieder auf – und wird dann auch immer wieder schnell verworfen. Auf der einen Seite sind die unternehmerischen Strukturen dieser beiden Hemisphären unserer Branche teilweise sehr unterschiedlich, auf der anderen Seite sind es die Strukturen der beiden Verbände. Der frühere VDZ hat sich in einem über fast vier Jahre dauernden basisdemokratischen Prozess von einem föderal organisierten Dachverband starker Landesverbände zu einem starken, integrierten Bundesverband MVFP gewandelt. Der BDZV dagegen ist nach wie vor föderal aufgestellt, und eine Fusion würde angesichts dieser strukturellen Unterschiedlichkeit schon allein technisch nicht funktionieren. Ich halte das deshalb im Wortsinn für praktisch ausgeschlossen, weil nicht machbar.

Auch der BDZV kann sich wandeln und sich damit anschlussfähig machen.
Theoretisch ja. Aber so ein Prozess einer fundamentalen Reform kostet die Verlage sehr viel Kraft. Ich glaube kaum, dass wir Zeitschriftenverlage diesen weiten und schwierigen Weg in der angespannten Marktsituation heute würden bewältigen können. Dafür fehlt einfach die Zeit. An was ich glaube und für was wir schon vor einem Jahr große Offenheit signalisiert hatten, ist ein engeres kooperatives Zusammengehen unserer Verbände. Dafür müssten sich aber tatsächlich zunächst einmal die Verlage, die ja Eigentümer der jeweiligen Verbände sind, selbst zusammensetzen, um gemeinsame Interessen zu definieren und darüber nachzudenken, wie man sie auch gemeinsam vertreten könnte und vor allem auch will. Ich selbst bin davon überzeugt, dass uns viel mehr verbindet, als uns trennt. Womit wir wieder beim Runden Tisch wären.

Die medienpolitische MVFP-Agenda umfasst 15 Themen, von A wie Abo-Akquise bis Z wie Zustellförderung. Und dazwischen viel EU-Regulierung. Wenn Sie sich einen Punkt aus den 15 aussuchen könnten, der sich noch 2023 erfüllt – welcher wäre das?
Allein aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung halte ich für mehr als überfällig, was klar und deutlich im Koalitionsvertrag der jetzigen Regierung verankert ist: ein Förderprogramm, um in Deutschland die flächendeckende Versorgung mit periodischen Presseerzeugnissen zu gewährleisten.

Dort ist die Rede von Prüfung. Und es geht um die Zustellförderung, um die die Verlage schon so lange ringen.
Nein, weil es der regierenden Ampel im Koalitionsvertrag nicht um die Zustellung geht, sondern um eine Gewährleistung der flächendeckenden Versorgung mit periodischer Presse. Und Versorgung heißt Verfügbarkeit von periodischer Presse, also von Zeitungen wie Zeitschriften, und das setzt deren Existenz voraus.

Was macht Sie so sicher, dass es der Regierung nicht nur um die Boten-Zustellung geht, sondern auch um hohe Papier- und Energiepreise? Dass also nicht nur Zeitungen von solchen möglichen Subventionen profitieren, sondern auch Zeitschriften?
Zunächst gehe ich ganz einfach davon aus, dass hinter dem im Koalitionsvertrag niedergeschriebenen Wort auch ein gemeinsamer Wille steht, also der, die flächendeckende Versorgung mit periodischer Presse sicherzustellen. Das umfasst natürlich die Frage, dass Zeitungen auf dem Land nicht mehr im Briefkasten landen könnten, weil die Zustellung nicht mehr finanzierbar ist. Es umfasst aber ebenso die Situation, dass Zeitschriften aufgrund der teilweise dramatischen ökonomischen Situation eingestellt werden müssten und dann weder auf dem Land noch in der Stadt verfügbar sind. Und genau so ist unsere wirtschaftliche Situation – unabhängig davon, auf welchem Papier wir Verlage unsere journalistischen Inhalte drucken und verbreiten.

Trotzdem scheint die Politik nur an Zeitungen zu denken.
Natürlich verstehe ich auch den ersten Reflex der Politik, die Tageszeitungen zu unterstützen, denn jeder einzelne Abgeordnete braucht die regionale Presse für seine politische Arbeit an der Basis seines Wahlkreises – was auch immer man darunter subsumiert. Aber das darf nicht über dem Grundsatz, dem Axiom der Unteilbarkeit der Presse, stehen, zu dem sich alle Regierungen in der Vergangenheit bekannt haben, egal ob es um die verminderte Mehrwertsteuer ging, um die Preisbindung oder um Erleichterungen der Zusammenarbeit von Verlagen im Wettbewerbsrecht. Es wäre wirklich bemerkenswert, wenn sich die aktuell Regierenden zum ersten Mal seit 1949 dazu berechtigt fühlen würden, Presse in Klassen und Kategorien zu unterteilen, also einen Keil zu treiben zwischen Verleger und ihre Redaktionen, je nachdem, auf welchem Papier und in welcher Frequenz sie ihre Inhalte verbreiten. Das hielte ich für ordnungspolitisch gefährlich und ein gesellschaftspolitisches Abenteuer.

Sind Subventionen fürs Drucken und Verteilen von Papier-Presse noch zeitgemäß und zielführend? Eigentlich sollte es doch um die digitale Transformation gehen.
Es geht in keiner Weise um eine Subventionierung eines Herstellungs- oder Vertriebswegs. Und wir Verlage bewältigen auch die Herausforderung der Digitalisierung sehr gut aus eigener Kraft, und das seit 30 Jahren. Der Ruf nach Unterstützung der Presse kam jetzt intensiver, weil die gesamte Branche in eine Schieflage zu geraten droht, in erster Linie durch eine Kette von harten Kostenschocks in unserem analogen Geschäft, aus dem heraus wir unsere Transformation finanzieren. Wir denken und führen gedruckte und digitale Varianten unserer Marken ja weitgehend integriert, es geht uns jetzt um den Kern unserer Wertschöpfung und unseres gesellschaftlichen Auftrags: um den Schutz des Journalismus.

Jetzt gibt es ein positives Gutachten zur Presseförderung. Doch weil es noch von ihren Vorgängern in Auftrag gegeben wurde, distanziert sich die Regierung davon und verliert sich in Zuständigkeitsfragen. Wird das noch was?
Es war ja zu lesen, dass es in der SPD und im Kanzleramt die Tendenz gibt, eine Förderung umzusetzen. Die Grünen und das Wirtschaftsministerium, das ja ohnehin ein eher eigenartiges Verhältnis zur Presse zu haben scheint, lehnen das ab. Andererseits hat die FDP mehrfach erklärt, dass sie eine Förderung von Zeitungen und auch Zeitschriften unterstützt. Die Bundesregierung muss diese „Operation heiße Kartoffel“ jetzt dringend klären und ordnungspolitische Fehler vermeiden.

Ist der monetäre Nutzen einer solchen Förderung, heruntergerechnet auf die einzelnen Verlage, wirklich größer als die Gefahr, dass das Image und Selbstverständnis einer unabhängigen Presse durch Staatsknete-Empfang kollektiv Schaden nehmen?
Wir halten uns hier in Deutschland das teuerste öffentlich-rechtliche Mediensystem der Welt, ein selbstreferentielles bürokratisches System, das mit jährlich 8,5 Milliarden Euro Zwangsgebühren gefüttert wird. Gemessen daran wäre eine Unterstützung der deutschen Verlage in einer wirtschaftlichen Ausnahmesituation sowohl ordnungspolitisch als auch in absoluten Zahlen ja eher gering. Und egal, wie hoch eine Förderung für teilweise in ihrer Existenz bedrohte Häuser ausfiele – sie wäre befristet. Wenn sich eine solche Unterstützung sinnvollerweise an der Zahl der vertriebenen Stücke festmachte, würde sie ohnehin automatisch zurückgehen.

Wie beurteilen Sie die neue Dynamik bei Werbeverboten? Meine These ist ja, dass in zehn Jahren sämtliche Wirtschaftswerbung hart reguliert ist, weil übermäßiger Konsum sämtlicher Waren und Dienstleistungen gesundheits- und klimaschädlich sein kann.
Ich sehe diese Vorstöße als Symptom eines problematischen klientelbezogenen Politikverständnisses zumindest eines Teils der aktuell Regierenden, die ganz offenkundig eine neue Verbotskultur etablieren wollen. Menschen sollen durch Verbote dazu gezwungen werden, anders zu leben als sie leben wollen. Mit einer solchen Umerziehungspolitik verkommt das Vertrauen in den mündigen Bürger, und dabei entgleist das liberale Wertesystem als Grundkonsens unserer Gesellschaft.

Aber Gesundheitsschutz ist doch ein wichtiges Ziel!
Von den Tabakwerbeverboten wissen wir, was passiert: Marktanteile werden zementiert und neue Anbieter dringen nicht mehr durch. Weniger geraucht wird dadurch aber nicht. Ich glaube an unsere mündige Gesellschaft. Wer also die Gesundheit von Kindern schützen will, sollte nicht auf Verbote setzen, sondern auf Information und Aufklärung, also auch auf die Medien. Doch gerade denen werden durch Werbeverbote wichtige Erlöse fehlen, also bedroht jedes dieser Verbote auch die Medienvielfalt. Das ist im Ergebnis doch paradox.

Aktuell beschränkt sich der MVFP auf Forderungen, dass neue Verbote die Werbung in Pressemedien nicht behindern. Gattungs-Lobbyismus. Wäre es nicht glaubwürdiger, ganz grundsätzlich für Werbefreiheit einzustehen, auch im TV und in Social Media?
Das tun wir ja. Die Werbefreiheit ist die Schwester der Meinungsfreiheit, deshalb kämpft dieser Verband schon als VDZ seit Jahrzehnten gegen Werberegulierung generell. Und tatsächlich nicht nur in eigener Sache. Die privaten Fernsehsender würde das jetzt diskutierte Verbot noch viel härter treffen, und am Ende trifft es eben die Menschen, weil diese Verbotspolitik ihnen in letzter Konsequenz Teile ihrer Informations- und Unterhaltungsfreiheit nimmt.

Ihre Lobbyarbeit erinnert mitunter an Sisyphus. Neulich haben Sie auf einem Podium gesagt, man habe fast das Gefühl, „dass es die Politik gar nicht so schlimm findet, wenn es uns nicht mehr so gut geht“, Presse sei ja unbequem. War das Ironie oder Ernst?
Sarkasmus trifft es am besten. Tatsächlich beschleicht mich immer wieder das ungute Gefühl, dass Teilen der Politik die Bedeutung der freien, in privater Hand und Verantwortung betriebenen und marktwirtschaftlich finanzierten Presse als vierte Gewalt in unserer Demokratie nicht bewusst ist. Der Journalismus der Verlage ist unbequem – aber das ist auch seine Funktion.

Herr Welte, seit Jahren drängen Sie die Verlagswelt zu mehr Zusammenarbeit. Und trotz aller Branchen-Beharrungskräfte und rigider Regulierung läuft ja schon einiges. Jetzt startet auch die gemeinsame Burda/Funke-Vermarktung. Wo sehen Sie weitere Möglichkeiten und Notwendigkeiten zur Kooperation zwischen hiesigen Verlagen?
In der Frage solcher kollaborativer Systeme kann man gar nicht mutig genug denken, denn letzten Endes geht es darum, die Redaktionen als Kern unserer Wertschöpfung zu beschützen. Wir haben schon einiges auf den Weg gebracht, etwa im Vertrieb und in der Marktforschung, und das muss weitergehen. Uns gehen ja die Herausforderungen nicht aus: etwa im Einzelverkauf oder in der Abo-Zustellung, wo der Monopolist Deutsche Post immer teurer wird, oder im Papiereinkauf genauso wie in der Weiterentwicklung unserer technologischen Systeme. Es geht darum, Ressourcen dadurch zu schonen, dass wir uns diesen sehr fundamentalen Aufgaben gemeinsam stellen. Natürlich immer im Rahmen dessen, was Wettbewerbsrecht und Kartellamt zulassen.

„Man kann gar nicht mutig genug denken“? Das erinnert an den „Deutschland-Verlagsvermarkter“, den der Bauer-Verlag vor gut einem Jahr angeregt hat.
Wir haben diese Frage der richtigen Größe oft diskutiert in den sechs Jahren, in denen wir für eine Kooperation in der Vermarktung kämpfen. Ich selbst glaube nicht an diesen großen Universalvermarkter, der dann in einer quasi genossenschaftlichen Logik Werbegelder an die Gesellschafter verteilt. Aber die Konsolidierung der Verlagsvermarkter wird sicherlich weitergehen, ohne dass der publizistische Wettbewerb der Verlage darunter leiden wird. Wie viele Vermarkter es dann am Ende werden, entscheidet allein der Markt.
Eine Kooperationsidee hat gerade wieder Konjunktur: eine anbieterübergreifende Abo-Plattform für digitalen Journalismus, ein Spotify für Verlage. Finden Sie das sinnvoll?
Die ganze Wahrheit ist ja, dass es dieses Spotify für Verlage schon lange gibt – und es heißt Google. Die Suchmaschine entbündelt unsere journalistischen Angebote, bedient sich unserer Inhalte und liefert jede einzelne Nachricht auf Anfrage konvenient aus. Mit durchschlagendem Erfolg seit über 20 Jahren. Warum sollten Verlage ein solches Verbreitungssystem einzelner Inhalte nachbauen? Unser wirtschaftlicher Erfolg hängt doch davon ab, dass wir eben nicht einzelne Inhalte-Häppchen produzieren und vertreiben, sondern ihre gesamte Komposition in Magazinen, Portalen oder in Apps.

Die Landesmedienanstalten pushen das Thema und fordern zugleich von der Politik, „qualitätsvolle“ Inhalte zu stärken, die Auffindbarkeit zu sichern und Diskriminierung zu vermeiden. Wäre eine solche neue Regulierung die richtige Antwort auf Ihre Kritik an so mancher Willkür der US-Plattformen beim Umgang mit Verlagsinhalten?
Ich glaube, dass die Landesmedienanstalten von den Realitäten in unseren Märkten in etwa so weit entfernt sind wie ich von der Technik des Unterwasserschweißens. Wir sprechen hier von überkommenen Strukturen aus den 80er-Jahren, die sich eher darüber Gedanken machen sollten, wie man die anachronistische, aus der Zeit gefallene föderalistische Mediengesetzgebung im privaten Radiomarkt ins 21. Jahrhundert bekommt.


// Das Interview führte Roland Pimpl.

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