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HORIZONT | Thomas Hass im Interview „Mit diesem Kompass startet Spiegel-Boss Thomas Hass ins Verbandsamt“

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Thomas Hass, Vorsitzender der Geschäftsführung der SPIEGEL-Gruppe, im HORIZONT-Interview mit Roland Pimpl über seine neue Rolle als Vorstandssprecher der Fachvertretung Publikumsmedien im MVFP sowie über aktuelle Themen und Herausforderungen der Branche. | erschienen bei Horizont.net am 15.03.2024

Thomas Hass (Foto: Spiegel / Website: Horizont)

Herr Hass, Glückwunsch zur Wahl neulich! Welche Schwerpunkte wollen Sie als MVFP-Vorstandssprecher der Publikumsmedien setzen?
Die Schwerpunkte unserer Vorstandsarbeit legen wir in diesen Tagen gemeinsam im Gremium fest. Ich freue mich darauf, die Publikumsmedien und ihre Interessen vertreten zu dürfen, und will mich dafür einsetzen, dass unabhängiger Journalismus weiterhin eine starke Säule für Demokratie und Meinungsfreiheit in Deutschland bleibt. Die Herausforderungen, aber auch unsere Chancen, sind groß: Der demographische Wandel und die Veränderungen im Leseverhalten und der Mediennutzung insgesamt, der Strukturwandel im Handel, sinnvolle Regulierung bei der Transformation durch künstliche Intelligenz, unser Engagement für Nachhaltigkeit, der Schutz der Pressefreiheit – um nur einige Themen zu nennen, mit denen wir uns derzeit beschäftigen.

Das Jahr begann mit Blockaden von Pressedruckereien und Vertriebsauslieferungen, also mit Attacken gegen die Pressefreiheit. Welches Gewicht misst der MVFP diesen bei? Sind das eher Einzelaktionen rabiater Traktorfahrer, denen es um kurzfristige Aufmerksamkeit geht – oder kann so etwas die Pressefreiheit insgesamt ins Wanken bringen?
Dass Demonstranten die Produktion und Auslieferung von Presse blockieren, weil sie mit der Berichterstattung unzufrieden sind, können wir als Medienverband der freien Presse nicht akzeptieren. Wir sehen mit Sorge auf die zunehmende Gewalt und Aggression – nicht nur gegenüber publizistischen Institutionen, sondern auch gegenüber Journalistinnen und Journalisten. Die Blockaden sind nur aktuelle Beispiele für die insgesamt wachsende Zahl von Angriffen auf die Pressefreiheit. Dagegen müssen wir uns wehren. Eine freie und unabhängige Presse steht für die Freiheit aller Meinungen und ist die Basis unserer Demokratie – als Gesellschaft müssen wir sie gegen den Ansturm von Ideologie, Extremismus und Radikalität verteidigen.

Einige Bahnhofsbuchhändler haben das rechtsradikale Magazin Compact, das der Verfassungsschutz als „gesichert extremistisch“ einstuft, aus dem Sortiment genommen. Wie bewertet der MVFP das? Als freie unternehmerische Entscheidung – oder als möglichen Verstoß gegen die Neutralitäts- und Vertriebspflicht im Pressehandel?
Die Freiheit der Presse und die Freiheit der Meinungsäußerung manifestiert sich in Deutschland durch den freien Marktzugang aller Publikationen am Kiosk, im Lebensmitteleinzelhandel und im Bahnhofsbuchhandel. Eine inhaltliche Kontrolle, Selektion oder gar Zensur steht in klarem Widerspruch zu unseren freiheitlich-demokratischen Grundwerten, für die wir im Medienverband der freien Presse stehen. Wenn nun Pressehändler ihre persönliche Weltanschauung zur Grundlage der Auswahl von Pressetiteln machen und damit gegen das Neutralitätsgebot verstoßen, stellt dies eine Form der Diskriminierung dar, die der MVFP nicht billigen kann. Auch extreme Positionen – seien sie rechts, links, satirisch, religiös, weltanschaulich – sind im Sinne der Presse- und Meinungsfreiheit kein hinreichender Grund, eine Publikation vom Markt zu nehmen. In unserer liberalen Demokratie müssen wir auch Meinungen und Ansichten aushalten, die uns nicht gefallen – solange sie rechtlich zulässig sind. In allen anderen Fällen sind die Gerichte zuständig.

Zugleich gibt es bei Vermarktern eine Debatte über ein besseres Gattungsmarketing der Publikumsmagazine im Werbemarkt, vielleicht auch mit einem gemeinsamen Event für journalistische Print- und Digital-Verlagsmedien. Was kann, was will der MVFP dabei leisten?
Angesichts der Marktsituation ist es dem MVFP selbstverständlich ein großes Anliegen, die Gattung der Publikumsmedien auf allen Kanälen, in Print und Digital zu stärken und die Verlage zu unterstützen. Darüber, in welcher Form gemeinsame Gattungsmarketingaktivitäten im Werbemarkt sinnvoll sind, findet derzeit innerhalb der Fachvertretung Publikumsmedien ein sehr konstruktiver Austausch statt.

Ein paar Mediaagenturen versuchen derzeit, bei der Bewertung von Medien neben den allfälligen ESG-Kriterien auch die inhaltliche Qualität in ein Rating-System zu fassen. Bei der Mediaplanung bevorzugt werden sollen dann „Value Media“, die wertvoll für die Gesellschaft seien. Ein guter Weg?
Nein, das finden wir nicht. Nachhaltigkeits-, Sozial- und Governance-Themen stehen schon seit Jahren im Fokus der Presseverlage. Wir beschäftigen uns mit allen Impulsen, die ESG-Themen weiter entwickeln können. Die Kriterien sind dabei so komplex, dass sie nicht von einem Marktpartner definiert werden können, sondern aus unserer Branche heraus entwickelt werden müssen. Plattformen dafür können Joint Industry Committees sein, in denen alle Stakeholder gleichberechtigt vertreten sind und die gemeinsam Branchenstandards und Rahmenbedingungen definieren. Unabhängig davon halten wir im Verband ein einseitiges externes Ranking zur Bewertung und Beurteilung von unabhängigen Pressemedien und Verlagen für inakzeptabel. Es ist mit der grundgesetzlich verankerten Pressefreiheit nicht vereinbar.

Dabei würde der Spiegel, dessen Geschäftsführer Sie im Hauptjob sind, sicherlich auf der „Value“-Seite landen und insofern im Werbemarkt potenziell profitieren …
Ja, da haben Sie sicherlich Recht. Natürlich teilen wir beim Spiegel die Einschätzung, dass Titel aus dem Segment der nachrichtlichen Leitmedien wirkungsstark und daher für den Werbemarkt relevant sind. Aber bei dem angedachten Rating-System der Mediaagenturen geht es ja um die Bewertung der gesamten Gattung der Publikumszeitschriften durch einen externen Marktpartner. Eine solche einseitige Beurteilung halten wir, wie gesagt, nicht für den geeigneten Weg.

In Einzelfragen vertritt die Spiegel-Gruppe auch mal andere Positionen als der MVFP. So etwas kommt auch bei anderen Verlagen vor – nur haben deren Chefs meist keine hohen Verbandsfunktionen. Ordnen Sie die Spiegel-Positionen jetzt der MVFP-Räson unter?
Ich bin überzeugt, dass beide Rollen sehr gut zusammenpassen. Alle Verlage, nicht nur die Spiegel-Gruppe, müssen in wichtigen geschäftlichen Fragen ihren eigenen Weg finden und tun das auch. Gleichzeitig wird es angesichts der zahlreichen Aufgaben, denen sich unsere Branche stellen muss, immer wichtiger, für faire politische Rahmenbedingungen zu kämpfen. Das kann uns nur gemeinsam gelingen. Ich begreife diese Wahl auch als Auftrag, in kritischer Zeit geradezustehen für die weltweit einzigartige Vielfalt an Medien, die die deutschen Verlage über lange Zeit geschaffen haben. Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit im Vorstand.

Eines dieser Themen ist der Umgang mit den Internetplattformen in Sachen Urheberrechte. Schon beim Leistungsschutzrecht hatte die Spiegel-Gruppe auf Einzeldeal-Kooperation mit Google und Co gesetzt – die beiden Verlegerverbände MVFP und BDZV dagegen auf kollektive Konfrontation, auch juristisch. Gegenüber den KI-Playern tauchen nun ähnliche Fragen auf. Wie gehen Sie damit um?
Es geht auch beim Zukunftsthema KI darum, als Branche frühzeitig und aktiv faire politische Rahmenbedingungen mitzugestalten, damit die einzelnen Presseverlage so gut wie möglich agieren und ihrer besonderen Verantwortung in diesem neuen Zeitalter gerecht werden können: die Menschen in ihrem privaten und beruflichen Leben mit unabhängigen und wahrhaftigen Informationen so zu versorgen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger mündig und selbstbestimmt ein Bild machen können. Der MVFP hat im Sommer 2023 eine KI-Erklärung veröffentlicht. Mit Spezialisten aus den Presseverlagen in der AI Steering Group des MVFP und einem hervorragend besetzten AI Legal Committee, das wir gemeinsam mit dem BDZV aufgesetzt haben, arbeitet unser Verband daran, die medienpolitische und unternehmerische KI-Strategie zu gestalten. Das Ziel ist es, ein Gleichgewicht zwischen technologischem Fortschritt und ethischen Überlegungen zu finden, damit KI dem Gemeinwohl dient, die Presse- und Meinungsfreiheit stärkt und den Presseverlagen unternehmerische Handlungsmöglichkeiten bei fairen Marktbedingungen ermöglicht.

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