Ihr direkter
Weg zu uns.

Navigation
Vertrieb, PeerGroups, MVFPimpuls, DistributionSummit

Print muss von digitalen Erkenntnissen profitieren

Print & Digital MVFP impuls

Bea Knecht, Gründerin der Streaming-Plattform Zattoo, erläutert im Interview mit MVFP impuls, warum Vertrieb auch Produktstrategie ist, was Verlage von Streaming-Plattformen über Zielgruppenbindung lernen können und wie Daten, Personalisierung und KI sinnvoll eingesetzt werden, ohne das redaktionelle Profil zu verwässern.

Bea Knecht im Gespräch mit Markus Schöberl auf dem MVFP MVFP Distribution Summit 2025 (Foto: Ole Bader)

MVFP impuls | Frau Knecht, Sie vertreten den Standpunkt, dass Vertrieb heutzutage auch Produktstrategie ist. Was bedeutet das konkret für Verlagshäuser, insbesondere im Spannungsfeld zwischen Printtradition und digitaler Disruption?
Bea Knecht | Vertrieb ist heute nicht mehr nur die Frage, wie wir Inhalte ausliefern, sondern welche Inhalte in welcher Form und welchem Kontext überhaupt beim Leser ankommen. In der digitalen Welt ist der Vertrieb ein ständiger Rückkanal: Jede Reaktion – Klick, Kommentar, Abbruch – ist eine Information darüber, wie gut das Produkt passt. Für Verlage heißt das: Sie müssen Printtradition und digitale Agilität miteinander verbinden. Das Printprodukt darf seine journalistische Tiefe behalten, muss aber von digitalen Erkenntnissen profitieren, um Themenwahl, Darstellung und Vermarktung gezielter zu steuern.

Beim Distribution Summit haben Sie mit der Vorstellung der von Ihnen gegründeten Streaming-Plattform Zattoo einen Blick über den Tellerrand der Verlagsbranche geworfen. Was können Medienhäuser von Streaming-Plattformen über Zielgruppenbindung lernen?
Streaming-Plattformen wie Zattoo arbeiten mit hochgranularen Nutzerdaten und klaren Feedback-Loops: Wir sehen, was funktioniert, passen Inhalte und Angebote fast in Echtzeit an und entwickeln Produkte so weiter, dass sie zum Nutzungsverhalten passen. Das Wichtigste: Wir denken in Bindung, nicht nur in Reichweite. Für Verlage bedeutet das: Inhalte und Formate müssen so gestaltet sein, dass sie wiederkehrende Nutzung fördern – z. B. durch Serienformate, regelmäßige Rubriken, klare Mehrwerte pro Zielgruppe.

Sie plädieren für eine Nutzersegmentierung jenseits von Alter und Geschlecht – Stichwort Peer-Gruppen. Welche Rolle spielen dabei redaktionelle Inhalte und wie können Verlage ihre Inhalte datenbasiert weiterentwickeln, ohne ihre publizistische Unabhängigkeit zu gefährden?
Redaktionelle Inhalte sind das Herzstück – aber sie sollten mit einem besseren Verständnis darüber entstehen, welche Gruppen welche Themen wie nutzen. Peer-Gruppen werden nicht durch Demografie, sondern durch Interessen, Haltungen und Nutzungsverhalten definiert. Wenn eine Redaktion weiß, dass eine bestimmte Gruppe z. B. lösungsorientierte Klimaberichterstattung schätzt, kann sie solche Inhalte gezielt anbieten – ohne sich inhaltlich verbiegen zu müssen. Daten informieren, aber sie diktieren nicht.

Gerade bei den Presseverlagen liegen wertvolle Daten oft in verschiedenen Systemen – CRM, Webanalyse, Print-Abo. Welche ersten Schritte empfehlen Sie einem Medienhaus, um Verhaltenssignale systematisch auszuwerten?

  1. Datenquellen zusammenführen – ein zentrales Data Warehouse oder zumindest Schnittstellen schaffen.
  2. Schlüsselmetriken definieren, die wirklich relevant für Bindung und Conversion sind.
  3. Kleine Pilotprojekte starten, z. B. mit personalisierten Newslettern für klar definierte Peer-Gruppen. So entsteht schnell ein Lernzyklus, bevor man große Investitionen tätigt.

Viele Verlage setzen auf personalisierte Newsletter oder Paywalls. Wie kann Personalisierung funktionieren, ohne das redaktionelle Profil zu verwässern oder die Leserschaft zu vereinzeln?
Indem man Personalisierung nicht als Beliebigkeit, sondern als Priorisierung versteht. Die Kernwerte und die Handschrift der Redaktion bleiben für alle gleich – aber die Gewichtung der Themen, die Reihenfolge oder der Kontext können je nach Nutzergruppe variieren. So fühlt sich jeder abgeholt, ohne dass das Markenprofil verwässert.

KI kann Prozesse beschleunigen und Nutzerinteressen erkennen, aber auch Vertrauen untergraben. Welche Leitplanken braucht es nach Ihrer Erfahrung, um KI sinnvoll, transparent und verantwortungsvoll einzusetzen? Und wie ließe sich das auf die Verlagsbranche übertragen?
Leitplanke 1: klar kommunizieren, wo und wie KI eingesetzt wird. Leitplanke 2: Redaktionelle Endverantwortung bleibt beim Menschen. Leitplanke 3: Algorithmen regelmäßig auf Verzerrungen und Fehlentwicklungen prüfen. Übertragen auf Verlage heißt das: KI kann Themen clustern, Zielgruppen analysieren oder Headlines testen – aber welche Geschichte errzählt wird und wie sie eingeordnet wird, entscheidet die Redaktion.

Printprodukte gelten als schwierig skalierbar, wenn es um Personalisierung geht. Sie hingegen sagen, auch Print könne intelligenter distribuiert werden. Wie könnte das konkret aussehen, etwa bei Sonderbeilagen oder durch smarte Segmentierung?
Print kann durchaus segmentiert werden – z. B. durch gezielte Beilagen, die nur an Abonnenten mit nachweislichem Interesse an bestimmten Themen verschickt werden. Oder durch regionale Varianten, die lokale Berichterstattung verstärken. Auch hier gilt: Daten aus Digital und CRM zeigen, wer welche Inhalte schätzt – und dieses Wissen kann in den Printvertrieb zurückgespielt werden.

Und zum Abschluss: Wenn Sie für ein Jahr Verlegerin einer Zeitschrift wären – was würden Sie als Erstes verändern, um sie digital zukunftsfähig zu machen?
Ich würde als Erstes einen kontinuierlichen Daten-Feedback-Loop etablieren: Jede Interaktion wird gemessen, analysiert und fließt in die Produktentwicklung ein. Zweitens würde ich das Redaktionsteam so aufstellen, dass es parallel in Themen, Formaten und Zielgruppen denkt – nicht nur in Ressorts. Drittens würde ich die Marke als Community-Plattform begreifen, die Print, Digital, Events und Social Media vernetzt. Das Ziel: die Leserinnen und Leser nicht nur informieren, sondern sie dauerhaft in Beziehung zur Marke halten.

 

Bea Knecht ist Gründerin des TV-Streaming-Dienstes Zattoo und als Expertin für digitale Geschäftsmodelle bekannt. Beim Distribution Summit Anfang September sprach sie über die Chancen datengetriebener Medienstrategien und zeigte auf, wie Verlage mithilfe von Verhaltensdaten und künstlicher Intelligenz relevanter für ihre Leserschaft werden können.

 

MVFP impuls als E-Paper lesen

Druckansicht Seite weiterempfehlen