KI im Redaktionsalltag: zwischen Aufbruch und Verantwortung
Generative künstliche Intelligenz hat das Arbeiten in allen Redaktionen, die ich kenne, bereits verändert. Das geschieht meist leise, unaufgeregt und pragmatisch. Ganz im Unterschied zu der lauten, hektischen und kopflosen Diskussion darüber, was künstliche Intelligenz möglicherweise noch alles verändern könnte, die wir öffentlich führen.
Menschen in Medienunternehmen sollten sich darauf konzentrieren, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bestmöglich dabei zu unterstützen, wie sie künstliche Intelligenz sinnstiftend einsetzen, dabei müssen sie ihnen helfen, die Möglichkeiten und Grenzen dieser Werkzeuge zu erkennen. Denn nur so können wir den zielgerichteten Umgang mit unterschiedlichen Systemen erlernen und Prozesse so aufsetzen, dass aus diesem Umgang Neues entstehen kann.
Da Probleme aufzuzeigen erheblich einfacher ist, als Probleme zu lösen, konzentrieren sich viele zunächst auf die Defizite, die uns durch den KI-Einsatz Anderer entstehen. Und davon gibt es einige: So hat Google seine eigene Suche durch »Übersicht mit KI« so nachhaltig verändert, dass viele von uns es bei den eigenen Angeboten im Web durch rapide Traffic-Einbrüche spüren. Es gilt mittlerweile als bekannt – wenn es im Detail auch schwer zu verifizieren ist –, dass bei bestimmten Themen rund zwei Drittel aller Anfragen an Google ohne weiteren Klick der Nutzerinnen und Nutzer beantwortet werden. Damit ist für einen Teil von uns das bisherige reichweitenbasierte Finanzierungsmodell im Web zerstört, selbst wenn derzeit noch Umsätze generiert werden.
Auch werden kommende Browser oder Protokolle wie das MCP (Model Context Protocol) unter der Oberfläche für gute E-Commerce-Geschäfte sorgen. Allerdings ohne die Beteiligung von Werbeflächen und damit auch traditionellen Publishern.
Wir können das lautstark beklagen, ändern werden wir es nicht mehr. Stattdessen sollten wir uns jetzt darauf konzentrieren, wie die Geschichte digitaler Medienangebote in fünf bis zehn Jahren aussehen muss, damit diese Entwicklung aus Nutzer- und aus Anbietersicht als segensreich gelten kann. Wir müssen wegkommen von der Diskussion über Defizite und hin zu den Chancen, die künstliche Intelligenz für den Journalismus in der freiheitlichen Demokratie bietet.
So wie alle technischen Neuerungen vor ihr, vom Desktop-Publishing bis zu den ersten Schritten im World Wide Web, bietet künstliche Intelligenz die Chance, unser redaktionelles und verlagsseitiges Arbeiten technologisch zu vereinfachen. Viele Prozesse, die wir als unverzichtbar, aber mühselig, repetitiv oder stupide kennen, können bereits jetzt mithilfe künstlicher Intelligenz einfacher und schneller erledigt werden. Hier besteht definitiv Potenzial für deutliche Beschleunigung und Entlastung.
Neue Potenziale – neue Verantwortlichkeiten
Solche Prozesse sind bislang damit einhergegangen, dass Arbeitskräfte und teilweise auch Arbeitsplätze überflüssig geworden sind und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz verloren haben. Das kann mittelfristig auch jetzt die Folge sein, akut ist der überhastete Abbau von qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aber die falsche Reaktion. Denn gleichzeitig entstehen durch KI neue Möglichkeiten und Chancen, die andere, neue Anforderungen geschaffen haben und neue redaktionelle Angebote ermöglichen, die vorher nicht vorstellbar gewesen sind.
So können wir schon heute dank künstlicher Intelligenz unsere journalistischen Inhalte überall dort – kanalspezifisch – veröffentlichen, wo die Nutzerinnen und Nutzer sind. Ratgeber können als Podcast gehört und News als WhatsApp-Kanal gelesen werden. Das benötigt noch viel Feinarbeit, ist aber eine große Chance, die noch vor Kurzem viel finanzielle und technische Investitionen benötigt hätte.
Und nicht nur das: Wir können alles, was wir über unsere Nutzerinnen und Nutzer wissen, zur Personalisierung von Inhalten verwenden. Damit setzen wir die Stärke der KI direkt in unseren Inhalten frei und machen unsere Marken unverzichtbar. Auch da stehen wir noch am Anfang – aber können die Möglichkeiten schon deutlich erkennen.
Wir arbeiten heute in der Redaktion des Wort & Bild Verlages, die u. a. die »Apotheken Umschau« produziert, mit unterschiedlichen Systemen künstlicher Intelligenz, die uns das Arbeiten erleichtern. Meine Kolleginnen und Kollegen unserer wissenschaftlichen Redaktion sichten die von Menschen schon seit Langem nicht mehr zu überblickenden aktuellen medizinischen Veröffentlichungen mithilfe unterschiedlicher KI-Systeme, die dabei helfen, auf neue Strömungen in der Life-Sciences-Community aufmerksam zu werden und sie einzuordnen. In der Redaktion nutzen wir KI-Angebote u. a. bei der Übersetzung und Zusammenfassung fremdsprachiger Rechercheergebnisse. Dabei geht es nie darum, die eigene Recherche an der Primärquelle zu ersetzen, wohl aber darum, in einer sehr unübersichtlichen Landschaft von wissenschaftlichen Primärquellen Fokuspunkte zu identifizieren.
Journalistische Qualität als Gegengewicht zu algorithmischem Vertrauensverlust
Für unsere Nutzerinnen und Nutzer wird künstliche Intelligenz aktuell an drei Stellen erlebbar: in der Suche auf Apotheken-Umschau.de, wo wir ihre Fragen noch immer mit unseren medizinisch geprüften Inhalten beantworten – dank der Technologie von You.com aber nun als individuell passend formulierte Antwort. Ebenfalls auf unserer Website bieten wir die meisten Inhalte auch zum Hören an. Die Audioversion der Texte wird von einer auf ElevenLabs basierenden Anwendung erstellt, wobei wir die Stimme unseres Chefredakteurs Peter Glück für die Vertonung einsetzen. Schließlich haben wir ein umfassendes Angebot in Einfacher Sprache, das in einem gemeinsam mit der Universität Hildesheim und Summ AI entwickelten KI-Prozess entsteht und laufend ausgebaut wird. Diese Vorgehensweise ist für das Gebiet der Einfachen und Leichten Sprache so neu, dass wir das notwendige Know-how gemeinsam mit den Kooperationspartnern wissenschaftlich auf Deutsch und Englisch veröffentlichen, damit andere auf dieser Basis ebenfalls Angebote entwickeln können.
Ebenso wie wir arbeiten Kolleginnen und Kollegen in anderen Medienhäusern kreativ, unternehmerisch und mit hohem persönlichem Einsatz an neuen journalistischen Angeboten, die mithilfe künstlicher Intelligenz erst möglich werden. Die Aufgabe des Managements in Medienunternehmen wird vor allem sein, einen Nährboden für neue Entwicklungen anzulegen und im eigenen Unternehmen sowie in der Partnerschaft mit anderen in der Branche und darüber hinaus ein Biotop zuzulassen, in dem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter möglichst kreativ und mit den notwendigen Ressourcen Erfahrungen sammeln und neue Ideen wachsen lassen können.
Nicht alles, was derzeit in den vielen KI-Arbeitsgruppen und bei den von hoher kreativer Dichte und Ernsthaftigkeit geprägten Konferenzen diskutiert wird, kann am Ende auch als redaktionelles Angebot mit einem Geschäftsmodell funktionieren. Klar ist, dass die aktuellen Chatbots als sehr nützlich wahrgenommen werden – aber ein Vertrauensproblem haben. Und hier liegt unsere Chance.
Wir können mit hochwertigen journalistischen Angeboten, die unter sinnvollem Einsatz künstlicher Intelligenz mit großer redaktioneller Tiefe und einer hohen Personalisierung und auf allen möglichen Wegen zu den Nutzerinnen und Nutzern gebracht werden, einen lohnenswerten Raum finden.
Wir befinden uns immer noch am Beginn dieser spannenden Entwicklung. Das Einzige, was wir deshalb nicht tun dürfen, ist aus Angst vor der Zukunft den Kopf in den Sand stecken und in Schockstarre verfallen. Denn dann machen andere Anbieter mit Angeboten das Rennen, die aussehen wie Journalismus, damit aber nichts zu tun haben. Das müssen wir im Sinne unseres demokratischen Auftrags verhindern. Gemeinsam werden wir das auch schaffen.
Dr. Dennis Ballwieser ist Arzt, Geschäftsführer der Wort & Bild Verlagsgruppe sowie Chefredakteur der »Apotheken Umschau«.
Co-Autoren: Eric Kubitz,Head of Artificial Intelligence, Jan Mölleken, Produktmanager Digitale Produkte; Wort & Bild Verlag
