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PRINT&more: „Journalisten sind Wächter der Demokratie“

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Als Landeskorrespondent berichtet Tobias Wolf seit vielen Jahren aus Sachsen, u. a. über die Themen Pegida, AfD, Rechtsextremismus. Im PRINT&more-Interview spricht er über notwendige Sicherheitsmaßnahmen für Medienvertreter, über fehlende Medien- und Demokratiekompetenz und sein Engagement für die Pressefreiheit.

Tobias Wolf im Interview mit PRINT&more, Ausgabe 1/2022, S. 70/71

Tobias Wolf im Interview mit PRINT&more, Ausgabe 1/2022, S. 70/71

Schon zum dritten Mal engagieren Sie sich mit uns rund um den Tag der Pressefreiheit, u.a. auch in der Jury zum Schülerwettbewerb. Warum ist Ihnen dieses Engagement wichtig?
Eine freiheitliche und pluralistische Demokratie braucht eine von Zwängen und sachfremden Einflüssen freie Presse, die schonungslos aufdeckt, informiert, Hintergründe aufhellt und kritische Fragen stellt. Wir können ganz aktuell in Russland sehen, was passiert, wenn eine kaum vorhandene Pressefreiheit über Nacht ganz verschwindet. Es gehört für mich zu den wichtigsten Dingen überhaupt, immer wieder auf die Rolle einer freien Presse hinzuweisen. Und es ist sehr zielführend, wenn es schon bei Schülern gelingen kann, ihre Bedeutung im Werteverständnis zu verankern, weil sie im besten Sinne Multiplikatoren sein können.

12 Jahre waren Sie Reporter der Sächsischen Zeitung, jetzt Korrespondent bei der Freien Presse. Wie hat sich bei Ihnen in Sachsen das Kommunikationsklima verändert?
Es ist rauer und vor allem roher geworden. Die Grenze des Sagbaren wird hier im Wochentakt verschoben, vor allem von ganz rechts außen bis rechtsextrem und ein knappes Drittel der Bevölkerung scheint das nicht zu stören. Ich halte eine Untersuchung des Jenaer Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft für zutreffend, wonach in Ostdeutschland eine besondere Toleranz gegenüber rechtsextremistischen Weltanschauungen existiert, die den Meinungskorridor weit über die Grenzen des Verfassungskorridors hinaus streckt.

Welche Ursachen sehen Sie?
Ganz klar: Das Aufkommen von Pegida, der Aufstieg der AfD und das damit verbundene Wegducken der sächsischen Landespolitik auf Regierungsebene, die seit drei Jahrzehnten maßgeblich von der CDU verantwortet wird. Es hat Jahre gedauert, bis sich ein Teil der CDU von diesem Spektrum distanzierte, ohne immer wieder gebetsmühlenartig Hufeisentheorien zu wiederholen, wonach der Linksextremismus in Sachsen genauso stark ausgeprägt sei, was mit Verlaub mehr als grober Unfug ist. Beim Publikum kam das als Relativierung des Rechtsextremismus an, nach dem Motto: ist doch alles nicht so schlimm. Bis heute gibt es in der sächsischen Union ein Problem damit, zu erkennen, dass Demokratiefeinde und Extremisten nicht nur glatzköpfige Springerstiefelträger sein müssen, sondern auch solche, die man optisch als vermeintlich „bürgerlich“ klassifiziert, etwa funktionsjackentragende Senioren oder Familienväter. Nur weil die wie du und ich rumlaufen, kann doch nicht das Resultat sein, dass man jede noch so krude Äußerung als ernstzunehmende Besorgnis adeln muss. Die Demonstrationen von sogenannten Corona-Kritikern mit Gewaltausbrüchen hier und da haben das erneut eindrucksvoll bestätigt.

Laut einer aktuellen Allensbach-Erhebung meinen 31 Prozent der deutschen Bevölkerung „in einer Scheindemokratie leben, in der die Bürger nichts zu sagen haben“. Auffällig dabei ist der Ost-West-Unterschied: Im Westen sind 28 Prozent dieser Meinung, im Osten ist es mit 45 Prozent fast die Hälfte der Befragten. Stellen Sie das in Ihrer täglichen Arbeit ebenfalls fest?
Ja.

Wie erklären Sie sich das?
Ein Teil der Bevölkerung hat manche Nachwendeerfahrung als demütigend empfunden, daraus ein Gefühl von zurückgelassen sein und nicht mehr gebraucht werden entwickelt und ist in eine Art innere Emigration gegangen. Parallel und vielleicht auch aus diesen Empfindungen heraus gibt es heute in Teilen der Bevölkerung nur ein rudimentär ausgeprägtes Verständnis für Funktion und Wirkungsweise einer Demokratie und den eigenen Möglichkeiten, sich daran zu engagieren. Man bestellt beim Staat und der hat zu liefern. Man wählt Abgeordnete, eine Partei und die sollen dann die eigenen Wünsche umsetzen – ansonsten kann es ja keine Demokratie sein. Kompromiss als demokratische Grundkultur, die Gewissensfreiheit des Abgeordneten, als das sind in dieser Lesart Fremdwörter. Meinungsfreiheit ist es für viele beispielsweise nur, wenn noch die wirrste Aussage unwidersprochen stehen bleibt. Nazi-Begriffe wie „Lügenpresse“, „Volksverräter“ oder „Volksschädling“ bestimmen schon seit Jahren die Tonalität von Pegida, AfD und Co., die darauf bauen können, dass ihre Anhänger sich nicht für Details interessieren, sondern eine Staats- und Demokratiefeindlichkeit aus persönlichen Motiven heraus goutieren. Wer das für übertrieben hält, vergegenwärtige sich die Wahlergebnisse im Osten. In Sachsen erhielt die AfD bei der letzten Landtagswahl 27,5 Prozent der Listenstimmen. Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen sind weitere Versuchslabore, in denen Demokratiefeinde die Grenzen der Verfassung und des Wortes ausloten. Unregulierte soziale Netzwerke, in denen Dinge gesagt und publiziert werden, die im realen Alltag strafrechtlich verfolgt würden, verstärken dieses Phänomen noch. Statt einer gemeinsamen Wirklichkeit existieren heute je nach individueller Blase mehrere Wirklichkeiten, gespeist von Verschwörungstheorien und Fake News, die ohne jedes Hinterfragen geglaubt werden.

Sehen Sie Ansätze, dieser Entwicklung entgegenzuwirken bzw. Änderungen herbeizuführen?
Staat und Gesellschaft müssen Hass und Hetze in sozialen Netzwerken und im Alltag entgegenwirken. Mit härteren Strafgesetzen und mit zivilgesellschaftlichem Widerspruch. Wir haben zwei Jahrzehnte in einem schrankenlosen Internet verloren, was einst als Gipfel demokratischer Beteiligungsmöglichkeiten gefeiert wurde, sich aber in nicht unerheblichen Teilen zu einer üblen Propagandamaschinerie entwickelt hat, wie die schmutzigen Kampagnen von Putins Russland gegen den freien Westen seit Jahren zeigen. Die Politik erscheint hier immer noch weitgehend untätig. Verantwortliche können oder wollen nicht erkennen, dass sich hier eine lautstarke Minderheit in abgekoppelten Privatwirklichkeiten radikalisiert. Schulbildung, auch Erwachsenenbildung ist vielleicht eine Möglichkeit, dieser unheilvollen Entwicklung zu begegnen, die ein deutlich größeres Maß an Medien- und Demokratiekompetenz erfordert, als das im übersichtlichen Zeitalter von Print, Radio und TV vielleicht gegeben war.

Was können Verlage selber dazu beitragen?
Das Sichern der Kernkompetenz. Journalisten müssen arbeiten können, auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Hintergründe und Funktionsweisen erklären. Brennende Themen aufgreifen. Sich nicht einschüchtern lassen. Mut haben und auch dann dem Ethos und der Rolle der Presse als wohlverstandene vierte Gewalt in der Demokratie gerecht werden, wenn der Druck besonders groß wird. Stehenbleiben, wenn vermeintliche Mehrheiten, die laute Minderheiten sind oder latent unzufriedene und nie in der freiheitlichen Gesellschaft angekommene Menschen zum Social-Media-Hasssturm blasen. Journalisten sind keine Politiker, die nach Mehrheitsmeinungen schielen sollten, sondern Handwerker relevanter Information und Wächter der Demokratie. Auch wenn der Begriff „Haltung“ etwas gelitten hat, vor allem weil er von interessierter Seite gegen Journalisten verwendet wird - es ist nie falsch, Haltung für Demokratie in unserem verfassungspolitischen Korridor zu zeigen. All das können, nein müssen Verlage dazu beitragen.

Wie hat sich durch das veränderte Kommunikationsklima die Arbeit für Sie als Journalist geändert?
Es begann mit Pegida und ist seither Standard. Es kann zu bedrohlichen Situationen kommen, wenn man mit Stift und Block bei Demonstrationen erkannt wird. Noch schwieriger ist es für fotografierende und filmende Kollegen, die wegen ihres Equipments immer erkennbar sind. TV-Teams lassen sich in Sachsen im Regelfall von Sicherheitsleuten begleiten. Denn die Risiken sind nicht mehr ohne weiteres zu erkennen. Zwar mussten Reporter schon früher Risiken in Kauf nehmen, wollten sie über Rechts- oder Linksextremisten berichten, nur waren die Fronten klarer und die Extremisten-Menge geringer. Heute sind Extremisten und Gewalttäter auch nicht mehr an optischen Dingen wie Kleidung, Frisur oder Tattoos zu erkennen. In Dresden konnte es einem in den letzten Jahren immer passieren, von wütenden Rentnern in Funktionskleidung oder Filzmänteln angegriffen zu werden, sobald sie die „Presse“ erkannten. Wer sich als Journalist vorrangig um derlei Themen bemüht, sollte auch seine Adresse bei der Meldebehörde sperren lassen und andere Sicherheitsmaßnahmen ergreifen, die den Privatbereich schützen.

Welche Gefahren sehen Sie für den unabhängigen Journalismus hier bei uns in Deutschland bzw. ganz konkret in Ihrer Region?
Wenn Journalisten nicht mehr ungefährdet berichten können und sich verständlicherweise viele diesem Risiko nicht aussetzen wollen, leidet die Pressefreiheit und die Gesellschaft wird blind für besorgniserregende Entwicklungen. Das Problem einer Fake-News-Parallelgesellschaft wird wohl nicht so schnell wieder verschwinden und sich weiter ausbreiten als bisher, wenn nicht umgesteuert wird. Eine große Gefahr für die Pressefreiheit sehe ich im anhaltenden Schwinden der wirtschaftlichen Grundlage für Verlage, wobei die vielleicht größten Fehlentscheidungen die Verlage selbst zu vertreten haben, indem sie das Internet als neues Medium nicht ernst nahmen und fast zwei Jahrzehnte kostbare Inhalte verschenkten, für die jeder Printabonnent brav bezahlte. Generationen wurden dazu erzogen, Informationen als etwas „wertloses“ zu betrachten, ganz so, als würde der Bäcker seine Brötchen verschenken. Diese ökonomische Situation hindert zu viele junge Menschen, sich für den Journalismus zu entscheiden, weil sichere und gute Gehälter wie vor dem Zeitalter des Internets für Neuankömmlinge kaum mehr existieren.

Sie kamen über den zweiten Bildungsweg zum Journalismus, sind darüber hinaus auch Handwerker mit Gesellenbrief. Was kann der Journalismus vom Handwerk lernen oder worin ähneln sich die Branchen?
Journalismus ist zunächst einmal ein Handwerk, dass beherrscht werden muss. Um ein Produkt zu schaffen, braucht es bestimmte Routinen und Abläufe. Der Journalismus könnte vom Handwerk vielleicht etwas mehr pragmatische Lösungskompetenz lernen – bei unerwarteten, unbekannten oder neuen Problemen, beim Wandel vom goldenen Printzeitalter in eine hoffentlich goldene Digitalzukunft.

Sie blicken dennoch positiv in die Zukunft, weil…  
…die Hoffnung uns nicht nur weiterträgt, sondern im besten Fall dafür sorgt, dass man aktiv daran mitwirkt, Problemlagen zu entschärfen und Dinge zu verbessern.


Lesen Sie hier eine kürzere Version des Interviews mit Tobias Wolf im E-Paper von PRINT&more.

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