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Philipp Welte im Handelsblatt: „Der Staat darf die freie Presse nicht untergraben“

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Gastkommentar erschienen im Handelsblatt vom 16.11.2020: Philipp Welte, Vizepräsident des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) und Burda-Vorstand über das Abkommen des Bundesgesundheitsministeriums mit Google.

Der Bundesgesundheitsminister hat ein Abkommen mit Google geschlossen. Das ist ein ordnungspolitischer Sündenfall und hintertreibt die Antikartellpolitik der EU.

Corona macht vieles möglich. Aber auch ordnungspolitisch Unmögliches? Im Kampf gegen die Pandemie hat sich unsere Exekutive Respekt und Achtung verdient. Aber unsere Demokratie hat Wachsamkeit verdient. Und da schrillten letzte Woche die Alarmglocken, als der Gesundheitsminister einen fatalen Pakt mit Google bekanntgab: in den Räumen der Bundespressekonferenz, Seite an Seite mit dem Europachef des US-Monopolisten.

Das Ministerium hat mit Google ausgehandelt, dass Menschen, die im Netz nach Gesundheitsinformationen suchen, ab sofort prioritär auf ein inhaltliches Medienprodukt des Ministeriums verlinkt werden. Unterstützt von einem der mächtigsten Konzerne, die es jemals auf diesem Planeten gegeben hat, greift ein staatliches Exekutivorgan massiv in das Prinzip der Freiheit der Medien und Meinungsbildung ein und lässt sich von Googles Algorithmen zur automatischen Nummer 1 bei der Suche nach Gesundheitsthemen machen.

Wenig überraschend hat das einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Es ist ein Präzedenzfall, der weder mit den Grundsätzen des freiheitlichen Marktes noch mit denen unserer freiheitlichen Demokratie vereinbar ist. Zwei Punkte sind relevant:

Erstens ist ein staatlich betriebenes Presseangebot in Deutschland verfassungswidrig. 'Eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates', hält das Bundesverfassungsgericht 1966 im sogenannten Spiegel-Urteil fest. Dieses Prinzip steht diametral zu dem jetzt vom Gesundheitsministerium lancierten Staatsmedium für Gesundheitsinformation. Wenn man das weiterdenkt, käme als nächstes ein Wirtschaftsmagazin des Wirtschaftsministeriums oder ein Magazin für Außenpolitik von Chefredakteur Heiko Maas.

Der zweite ordnungspolitische Sündenfall ist das Vorhaben des Bundesgesundheitsministeriums, dieses Portal durch eine Manipulation des Google-Algorithmus' privilegiert vor alle Angebote der freiheitlichen Presse zu setzen. In einem historischen Verfahren gegen Google hat die EU-Kommission 2017 erfolgreich die Selbstbevorzugung anderer Google-Produkte verboten. Der jetzige Deal der Bundesregierung führt alle Bestrebungen zu einer Verpflichtung der Megaplattformen auf die diskriminierungsfreie Verbreitung aller Angebote ad absurdum.

Was zu einer grundsätzlich brisanten Frage führt: Weiß die Politik eigentlich, was sie tut? In Brüssel wird mit Unterstützung der Bundesregierung an einer Verpflichtung der kartellartig agierenden Technologieplattformen genau auf diesen diskriminierungsfreien Zugang zum Internet gearbeitet - das nennt sich Digital Market Act. Und in Berlin wird im Gesundheitsministerium das exakte Gegenteil exekutiert. Der Staat setzt sich mithilfe eines Monopolisten, der faktisch das Internet in Europa besetzt hat, über die Freie Presse hinweg. Er diskriminiert.

Weiß die Politik, was sie tut?

Was hier deutlich wird, ist ein Unverständnis der Politik gegenüber der Bedeutung der freien, marktwirtschaftlich finanzierten Presse in unserer Demokratie. Die Menschen in Deutschland verlassen sich auf uns, das hat gerade die Pandemie gezeigt: 60 Prozent der Deutschen vertrauen laut dem Eurobarometer der Europäischen Kommission dem Journalismus der Verlage als der vierten Gewalt in unserer Demokratie – und damit übrigens deutlich mehr als sie der Exekutive und der Legislative vertrauen. Es zeigt sich aber auch eine unkritische Haltung der Politik gegenüber den fest kartellierten Strukturen des digitalen Marktes. Allein im dritten Quartal 2020 ist der Gewinn des Monopolisten um über 60 Prozent auf 11,2 Milliarden US-Dollar gestiegen. Über 70 Prozent des digitalen Werbemarktes liegen heute in der Hand von drei US-amerikanischen Technologieplattformen. Die in Sonntagsreden gerne vorgetragenen politischen Visionen einer europäischen Digitalsouveränität schrumpft zur Worthülse, denn durch die Kooperation mit der Bundesregierung wächst die wirtschaftliche
Macht von Google – durch staatliche Protektion.

Was sich die Presse, die vierte Gewalt in unserer pluralistischen Demokratie, wünschen würde, wäre ein Erwachen: Der Staat darf sich in unserer Demokratie nicht zum Medienanbieter aufschwingen, auch nicht unter dem Deckmantel Corona. Die Politik muss erkennen, dass die digitale Infrastruktur längst in der Hand weniger Gigakonzerne ist, allen voran Google. Deshalb brauchen wir den Digital Market Act, der den mehr als zwanzig Jahre alten Rechtsrahmen über digitale Dienste in die Gegenwart holt. Unsere pluralistische Demokratie schreit nach einer exekutiven Instanz, die kartellierte Märkte aufbricht und deren Freiheit sichert. Warum ich das uns allen wünsche? Weil ich an die Demokratie glaube. Und an die Kraft, die die Freiheit entfalten kann auf dem Weg in die Zukunft. Wahre politische Freiheit, sagt Friedrich Schiller, sei 'das vollkommenste aller Kunstwerke'. Wir haben das Glück, in diesem vollkommenen Kunstwerk leben zu dürfen. Lasst es uns verteidigen – nach innen wie nach außen.

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