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Farida Nekzad in PRINT&more: „Ich werde nicht schweigen und meine Stimme weiter erheben“

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Die afghanische Journalistin und Preisträgerin der „Goldenen Victoria für Pressefreiheit 2015“ Farida Nekzad floh nach der Machtübernahme der Taliban in buchstäblich letzter Minute aus Kabul. PRINT&more erreichte sie für ein Interview | erschienen in PRINT&more 3/2021

Der VDZ ehrt mit der „Goldenen Victoria“ Menschen, die sich durch außergewöhnliche Leistungen oder Engagement auszeichnen. Insbesondere mit den Preisträgern aus der Kategorie „Pressefreiheit“ stehen wir kontinuierlich in Verbindung, denn ihre Situation ist zumeist – bestenfalls – schwierig, oft lebensbedrohlich. Das filmische Update „Was machen unsere Pressefreiheits-Preisträger?“ ist fester Bestandteil jeder Preisverleihung im Rahmen der Publishers’ Night. Wir wollen wissen, wie sich ihr Leben und ihre Arbeit entwickelt haben. Aufgrund der dramatischen Situation in Afghanistan waren wir in großer Sorge um Farida Nekzad, Journalistin und Frauenrechtsaktivistin aus Kabul. 2015 haben wir sie für ihren mutigen Kampf mit der „Goldenen Victoria für Pressefreiheit“ ausgezeichnet.

Farida lebte mit ihrer Tochter in Kabul und leitete dort das Schutzzentrum für Journalistinnen (CPAWJ) in Kooperation mit Reporter ohne Grenzen – bis zum 24. August 2021. Ein Tag, der in seiner Bedeutung nicht geteilter sein könnte. Farida gewann ihre Freiheit und Sicherheit wieder, verlor aber ihre Heimat und Familie. Sie verlor ihre Arbeit in dem Schutzzentrum und musste „ihre“Frauen zurücklassen. Als Farida in jener Nacht auf dem Fußboden der Militärmaschine saß, fühlte sie unendlichen Schmerz über den Zusammenbruch ihres Lebenswerkes: 15 Jahre Kampf für Frauenrechte in Afghanistan – alles vergebens?

Als die Taliban die Macht übernahmen, war klar, dass Farida auf der Todesliste stehen würde und sofort das Land verlassen musste. Die Bedrohung kommt so plötzlich, dass es Farida buchstäblich umhaut, sie einen Kollaps erleidet und ihr Blutdruck verrücktspielt. Sie muss mitten in dem Chaos ins Krankenhaus. Sie verlässt ihr Haus, versteckt sich mit ihrem Kind bei Verwandten. Dabei nur das Nötigste. Der katarische Botschafter in Kabul organisiert schließlich den gefährlichen Transfer zum Flughafen. Aus dem Auto heraus sendet sie noch die Nachricht, dass wir für sie beten mögen. Tatsächlich gelingt es ihr, alle Kontrollen zu passieren. Dann die ganze Nacht banges Warten auf dem Rollfeld in der Dunkelheit des Flughafens. In den Morgenstunden endlich hebt dann das Flugzeug Richtung Doha in Katar ab. Sie hat ihr Leben, ihr Kind und einen Koffer. Nur Stunden später lassen die Taliban niemanden mehr zum Flughafen, nur Tage später beenden viele Länder die Evakuierungsflüge. Für mehrere Tage sind Farida Nekzad und ihre Tochter in Doha in einem Camp für Geflüchtete.

Wir erreichten sie dort, kurz bevor sie endlich nach Kanada weiterreisen konnte.

PRINT&more | Farida, Sie konnten in letzter Minute aus Kabul evakuiert werden. Wie haben Sie die Stunden vor der Evakuierung erlebt?

FARIDA NEKZAD | Es war erschütternd. Um den Flughafen herum wurde es von Tag zu Tag immer gefährlicher. Ich hatte immer weniger Hoffnung, das unbeschadet zu schaffen. Gleichzeitig hatte ich immer mehr Angst um meine Familie und meine Kolleginnen vom Schutzzentrum. Die Frage, was nun ihr Schicksal sein würde, trieb mich um. Dann ging alles sehr schnell. Es war eine harte Entscheidung, binnen 90 Minuten alles einzupacken und mein Zuhause nur mit einem Koffer zu verlassen. Reporter ohne Grenzen und andere Unterstützer haben alles versucht, um uns einen sicheren Transfer zum Flughafen zu ermöglichen. Ihnen gebührt mein Dank. Dann kam nachmittags plötzlich der Anruf, ich solle 17 Uhr im Serena Hotel sein, um dort abgeholt zu werden. Ich hatte eine gute Stunde, um einen einzigen Koffer zu packen. Ich war in Panik, packte und dachte voller Sorge an meine Familie und meine Mitarbeiterinnen. Dann fuhr uns ein katarischer Sicherheitsdienst zum Flughafen. Auf dem Weg sah ich, wie die Taliban auf Menschen schossen, die zum Flughafen wollten. Ich sendete eine Nachricht an meine deutsche Freundin, sie möge für mich beten. Eine ganze Nacht wartete ich auf dem Flughafen mit meiner Tochter auf den Abflug. Ich habe dort so viele Tränen geweint und war unendlich traurig, meine Heimat zu verlassen, meine Familie, Freunde und Kollegen. Ich dachte an all die Arbeit, Liebe und Leidenschaft, mit der wir dieses Büro aufgebaut hatten. Es war unser Haus, unser Vogelnest. Meine Mutter war so stolz gewesen. Ich konnte mich weder von den Frauen noch von meiner Mutter verabschieden und sie ein letztes Mal küssen. Das war unglaublich schwer für mich. Morgens ging es dann mit einer katarischen Militärmaschine nach Doha. Das Schlimmste ist, dass alles mit nur einem Wimpernschlag zerstört ist. 15 Jahre Aufopferung, all die Mühe vergebens. Auf einmal sind wir in einem anderen Jahrhundert angekommen, umgeben von der Dunkelheit, die wir schon einmal unter den Taliban erlebt haben. Es raubt mir den Atem. Aber mein Kampf für die Rechte von Journalistinnen und Gerechtigkeit für Frauen geht weiter. Ich werde nicht schweigen und meine Stimme weiter erheben.

Wie geht es Ihren Kolleginnen, die weiterhin in Kabul sind?

Leider gibt es noch ein Dutzend Journalistinnen, die versuchen, Kabul zu verlassen. Darunter auch lokale Reporterinnen, die aus den Provinzen nach Kabul geflüchtet sind, als die Taliban kamen. Die haben nun alle große Angst zurückzukehren, weil die Taliban nach ihnen suchen. Ihre Häuser wurden bereits demoliert und ihre Angehörigen beschossen. Die Taliban drohen den Eltern, sie umzubringen, wenn die Frauen nicht zurückkehren. Unabhängig davon leben diese Frauen ohnehin schon in einer finanziell kritischen Situation. Der Schwerpunkt der Arbeit des Schutzzentrums liegt nun darauf, die Frauen sicher zu evakuieren. Auch nach dem offiziellen Ende der Missionen.

Was denken Sie über die Ankündigungen der Taliban, dass Frauen weiterhin ihre Rechte behalten?

Die Taliban sind immer noch dieselben. Brutale Extremisten, die sogar noch gewalttätiger sind als früher. Dieselben, die Tausende unschuldige afghanische Zivilisten getötet haben, geben nun eine Pressekonferenz, auf der sie demagogisch in freundlichem Ton eine Generalamnestie bekannt geben. Man kann ihnen nicht trauen. Nach vielen Hausdurchsuchungen bei Politikern, Journalisten und Aktivisten wurden über 100 Menschen über Nacht aus ihren Häusern verschleppt und oftmals getötet, so wie ein bekannter Sänger und Künstler. Wir Journalisten haben diese Gewalt immer wieder selbst erlebt. Alles Lügen! Man kann sich auf kein Wort der Taliban verlassen.

Was wünschen Sie sich von Deutschland und Europa als Reaktion?

Man sollte die Taliban über direkten und indirekten Druck dazu zwingen, alle Rechte und Werte der Afghanen zu respektieren. Also auch Pressefreiheit, natürlich ganz besonders die der Frauen in den Medien. Zudem sollten die Evakuierungen für alle gefährdeten Aktivisten beschleunigt werden, speziell wieder Journalistinnen, sodass diese aus dem Exil heraus weiterkämpfen und die verstummten Stimmen ersetzen können. Lasst uns nicht allein! Appelliert an Gerechtigkeit! Insbesondere Deutschland hat grundlegende Bildungsarbeit geleistet und war immer ein Verfechter der Menschen- und Frauenrechte und der Pressefreiheit.

Wie geht es für Sie und Ihre Tochter jetzt weiter?

Wir sind zutiefst dankbar für die Hilfe, die wir von deutschen Freunden erfahren haben. Der Dank gilt insbesondere der „Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte“, die uns sehr unterstützt. Wir haben Visaanträge für Kanada laufen. Die Hoffnung ist, dass mein Mann und der Rest der Familie mit uns gemeinsam dort aufgenommen werden. Ich habe weiter das Ziel und den Auftrag, für Menschenrechte und Pressefreiheit zu kämpfen. Das Land zu verlassen, heißt nicht, dann zu Hause rumzusitzen. Die Schullaufbahn meiner Tochter muss zunächst gesichert werden. Danach will ich meine Arbeit für Frauenrechte wieder aufnehmen, möglichst in Kooperation mit anderen Ländern. Im Moment bin ich sehr erschöpft. Ich schlafe nachts nicht länger als zwei Stunden am Stück und esse kaum etwas. Es bedrückt mich sehr, dass ich meinen Kolleginnen nicht helfen und sie vor diesen Extremisten in Sicherheit bringen konnte. 

// Antje Jungmann

 

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