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W&V-Interview: „Bin sprachlos, wie viel digitalen Megaplayern verziehen wird“

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VDZ-Hauptgeschäftsführer Stephan Scherzer spricht im Interview mit Werben & Verkaufen über die neue VDZ-Studie über Brand Safety und die möglichen Gefahren für Marken | erschienen bei W&V am 8. Oktober 2018

VDZ-Hauptgeschäftsführer Stephan Scherzer im Interview mit W&V

W&V: Herr Scherzer, eine neue Studie des VDZ zeigt: Das Brand Safety-Risiko steigt. Die Ursachen sind bekannt: Fake News und User Generated Content sind nur zwei davon. Das Problem: Diese Faktoren sind schwer in den Griff zu bekommen. Welche Maßnahmen wären kurzfristig wichtig – und was lässt sich auf lange Sicht dagegen unternehmen?
Stephan Scherzer: Die Bedeutung von publizistischen Marken als Aufmerksamkeits- und Vertrauensanker ist allen Entscheidern durchaus bewusst. Das zeigt auch die Studie. Ansetzen muss man woanders. Die Amerikaner sagen so schön, "put your money where your mouth is". In erster Linie müssen den Lippenbekenntnissen Taten folgen. Wenn beispielsweise 80 von 100 ausgegebenen Euro in der Digitalwerbung bei Google, Facebook und Amazon landen, fällt es mir schwer, hier eine ausgewogene Mediaplanung zu erkennen. Wem Brand Safety wirklich wichtig ist, der kann seine Planung entsprechend austarieren.

Kurzfristig bedeutet dies mehr Achtsamkeit bei der Anzeigenbuchung und -platzierung: aktiviertes Monitoring der Nachrichtenlage und Stimmung, mehr Transparenz in Absprachen mit Mediapartnern und Kunden sowie eine kritischere Bewertung von Programmatic Advertising und offenen Auktionen. Langfristig brauchen wir über alle Medienkanäle hinweg einen stärkeren Fokus auf das Thema an sich. Es ist kein Hype-Thema, sondern eine unternehmerische und damit langfristige Sichtweise. Digital ist kein Wert an sich. Werbung in Zeitschriften und Zeitungen inspiriert und sorgt für hohe Markenbekanntheit. Im Digitalen wird Werbung gerade in unsicheren Umfeldern oft als nervig und störend empfunden.

Wer nicht mit klassischen Medien sozialisiert wurde, wird sie auch nur spärlich nutzen. Gibt es trotzdem Möglichkeiten für diese Gattungen, gerade auch Print, solche Zielgruppen als Leser zu gewinnen?
Moment. In Deutschland werden pro Jahr allein über 1,5 Milliarden Publikumszeitschriften verkauft. 94 Prozent aller Bürger erachten guten Journalismus und qualitativ hochwertige Medien laut einer Allensbach-Studie für sehr wichtig. Die Reichweiten journalistischer Medien im Web und Mobil sind so hoch wie nie zuvor. Unsere Studie stellt in diesem Zusammenhang fest, dass auch Digital Natives, unabhängig ihrer digitalen Mediensozialisierung, ein klares Bewusstsein für etablierte Medienmarken besitzen. Mediennutzung und Vertrauen in die genutzten Quellen entsteht hier oft über Trial-and-Error und Neugier. Printmarken sind verlässlicher Markenanker, aber sie sind auf allen Kanälen vertreten. So holen Verlage neue Leser dort ab, wo sie am liebsten sind.

Welche Rolle können digitale Kanäle, die rund um die Printmarken aufgebaut werden, dabei spielen?
Die Unabhängigkeit und Autonomie der Medien ist keine Selbstverständlichkeit. Geschäftsmodelle und Erlösmöglichkeiten müssen auf allen Kanälen ausgebaut werden, um unabhängigen und hochwertigen Journalismus auch künftig finanzieren zu können. Deshalb sind digitale Kanäle zum Aufbau von Beziehungen mit Lesern und Mediennutzern relevant – hier schaffen Verlage Engagement und eine Community. Bezahlter Inhalt ist dabei eine zentrale Währung: Egal ob Digital oder Print, Leser sind bereit, für ihre Lieblingsmarke mit Zeit, Aufmerksamkeit und Geld zu bezahlen. Das ist die härteste Medienwährung der Welt. Diese Umfelder transportieren und erweiterten bestehendes Vertrauen und damit Brand Safety auf allen Kanälen. Das ist Editorial Media.

Nochmal zurück zur Brand Safety: Die Risikobewertung bei Agenturen scheint sich laut der Studie von der der Werbungtreibenden zu unterscheiden: Media-Agenturen sehen negative und unpassende redaktionelle Inhalte – im Gegensatz zu den Werbungtreibenden selbst - kaum als Problem. Wie kann das sein?
Das ist mir zu schwarzweiß. Viele Entscheider, gerade bei Werbungtreibenden, sind nachdenklich geworden. Denn die Welt ist komplex, einfache Antworten verführerisch aber problematisch – den Brexit, die Schuldenkrise oder das transatlantische Beziehungsgeflecht kann man eben nicht in einem Tweet erklären. Genauso wenig wie man mit "Digital only" alle Herausforderungen lösen kann. Menschen brauchen verlässliche Einordnung und Hintergrundinformationen, um entscheiden zu können.

Egal ob es um Politik, den Kauf eines E-Bikes oder das erste Kind geht. In den Echokammern des Internets kann man sich jede Meinung und Haltung bestätigen lassen. Auf Facebook kuratiert der Algorithmus die Meinung Gleichgesinnter in die Timeline. Die Diskussion in der Gesellschaft verändert sich gerade: Shitstorms, Fake News, Propaganda, unklare Absenderschaft und Intransparenz sorgen für Diskussionsstoff. Die kritische Auseinandersetzung der Leser mit den journalistischen Medien ist in vollem Gange. Aufklärung, Information, Reflexion, Entschleunigung und Widerspruch sind für unabhängig, glaubwürdige Berichterstattung maßgebend.

Gerade die laufenden Diskussionen um datenbasierte Manipulation auf den Digitalplattformen eröffnet große Chancen Leser und Werbungtreibende Print und Digital zu überzeugen. Mediaagenturen stehen durch die Wucht der Veränderung gerade unter besonders großem Druck. Hier ist es wichtig, dass die Werbetreibenden die Balance halten und den kritischen Diskussionen mit den Digitalplattformen auch Taten folgen lassen. 

Zeigen die Internet-Skandale von Facebook & Co. in jüngerer Zeit inzwischen eine Wirkung auf Kunden und Werbungtreibende? Sprich: Kehren sie vermehrt zu Print zurück? Die Kunden scheinen den Internet-Konzernen ja ziemlich viel nachzusehen...
Wie die Reaktionen zahlreichen Werbungtreibenden, zum Beispiel der Commerzbank, Unilever, Coca-Cola, Sonos oder Tesla, auf das Facebook-Skandal im Frühjahr gezeigt haben, bleiben Werbekunden von diesen Entwicklungen nicht unberührt. Auch die Dominanz von Google oder Amazon löst kein Wohlbehagen aus. Dass Kunden in diesem Prozess zu Print zurückkehren, ist für Verlagshäuser natürlich wichtig. Betroffenheit und Sorge zu äußern ist dabei das eine, Werbegelder balancierter und verantwortlicher umzuschichten das andere. Ich bin gelegentlich sprachlos, wieviel den digitalen Megaplayern "verziehen" wird – die Duldsamkeit ist teilweise schon bedenklich. Mit traditionellen Medien wird da oft weniger zimperlich umgegangen.

OMG-Chef Klaus-Peter Schulz ist bekanntlich der Ansicht, dass es nicht Aufgabe der Werbekunden sei, die publizistische Qualität zu stützen. Gruner + Jahr-CEO Julia Jäkel hat darauf kürzlich erneut ihre Sicht der Dinge dargelegt – nämlich die, dass Unternehmen sehr wohl eine Verantwortung für die gesellschaftspolitischen Folgen ihrer Media-Entscheidungen tragen. Ist es möglich, zwischen diesen auseinanderdriftenden Positionen einen Kompromiss zu finden? Wie könnte dieser aussehen?
Klaus-Peter Schulz macht es sich deutlich zu leicht. Nicht nur unsere aktuelle Studie zeigt, dass qualitativ hochwertige, redaktionelle Umfelder zur Sicherung der Brand Safety beitragen. Das hat nichts mit "Stützen" zu tun, sondern ist ein Austausch von notwendiger und geschäftsfördernder Leistungen zugunsten aller Beteiligten. Es geht nicht um Alimentierung oder ein schlechtes Gewissen. Journalistische Umfelder in Print und Digital sind sehr leistungsfähige Werbeträger.

Wer digital mit modern und analog mit Old School verwechselt, macht einen strategischen Fehler. Gleichzeitig lebt Demokratie von Meinungs- und Pressefreiheit sowie der Vielfalt von Angeboten für alle Lebensbereiche. Verlässlich geht das nur mit gutem und glaubwürdigen Journalismus. Wer hier zugunsten von Reichweiten, Absatz und kurzfristigem Budgetdruck auf Verantwortung verzichtet, ist bereit auf Vielfalt zu verzichten.

// Das Interview für W&V führte Manuela Pauker.

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