Und am Ende ist nicht immer alles gut
Die „Missy“ und ich, wir treffen uns meist am Bahnhof. Ich hole mir das Heft, setze mich in den Zug, und ab da nerven mich nicht mal Verspätungen. Das „Missy Magazine“ ist die einzige Zeitschrift, in der ich alles, wirklich alles lese.
Das meiste, weil es mich interessiert – wie die großartige Titelgeschichte über die Performancekünstlerin Florentina Holzinger samt einem spektakulären Fotoshooting. Oder, im Heft davor, das Armutsdossier. Manches aber auch einfach nur, weil es auf »Missy«-Art aufbereitet ist. Weil es kritisch, feministisch, inspirierend und lebendig ist.
Die Autorinnen fordern mich heraus, sie lenken meinen Blick auf Dinge, die ich eigentlich weiß, deren Bedeutung ich aber übersehen habe („Warum sind eigentlich alle dienenden KI-Assistenten weiblich?“ / „Warum werden bei Booktok misogyne Bücher gehypt – von Frauen?“). Und wenn sie dunkle Seiten unserer Welt zeigen – wie im Dossier über Trauminseln, die für ihre Bewohnerinnen und Bewohner mitunter eher ein Albtraum sind –, tun sie das nicht larmoyant, sondern kämpferisch. Unbequeme Wahrheiten sind eben auch Wahrheiten.
„Missy“ hat Mut. Wie sehr man den braucht, wenn man ein feministisches Magazin auch wirtschaftlich über die Runden bringen will, verrät die Geschäftsleitung, Ulla Heinrich, selbst im aktuellen Heft – und spricht über den täglichen Spagat zwischen begrenzten Mitteln, Qualitätsanspruch und Selbstausbeutung und darüber, dass man auch bei „Missy“ manchmal einfach müde ist.
„Missy“ hat Fragen. Und traut sich, eine Antwort schuldig zu bleiben, weil das Leben halt so ist, dass es nicht für alles eine Lösung gibt.
„Missy“ ist streitbar, manchmal schlecht gelaunt. Aber sie ist immer echt, voller Kraft, voller Kampfgeist. Der konsequent feministische Blickwinkel wirkt nicht aufgesetzt, sondern dringend notwendig. Selbst das einschlägige Wording kommt unaufgeregt und selbstverständlich daher, während es in anderen Kontexten ja oft krampfig und gewollt erscheint.
„Missy“ hat alles, was eine gute Zeitschrift haben muss: Sie inspiriert mich, sie überrascht mich. Sie stellt mir in jedem Heft Menschen, meist spannende Künstlerinnen oder Autorinnen, vor, die ich ohne sie nicht kennengelernt hätte. Sie konfrontiert mich mit explizit linken Einstellungen zur Finanzpolitik, die ich nicht unbedingt teile, mit denen ich mich aber gern noch mal auseinandersetze.
Der starke Fokus auf Kultur sorgt dafür, dass ich aus jedem Heft etwas mitnehme: ein Buch, einen Film, eine Ausstellung. Oder dass ich einen neuen Blick auf Bekanntes bekomme. In allen Feuilletons war über Florentina Holzinger zu lesen, es waren sehr kluge Beiträge dabei. Doch nirgendwo ist sie mir so nahegekommen wie im „Missy Magazine“. Großen Anteil daran hat das Fotoshooting. Es zeigt eine Frau ganz ohne platten Voyeurismus, obwohl diese Frau sich exponiert. Florentina Holzinger begegnet mir als Mensch. Verletzlich hinter der fast trotzigen Fassade, aber auch voller Kraft. Ich glaube, dieses Porträt wird ihr gerecht.
Wenn ich, wie heute, im Zug die letzte Seite des Magazins aufschlage, fühle ich mich gut informiert und gut unterhalten. Und sehr lebendig.
„Missy“ steckt an.
Marie-Luise Lewicki ist Herausgeberin von ZEIT SPRACHEN und Chefredakteurin von „écoute“.
