„Unabhängiger Journalismus gehört zur Infrastruktur der Demokratie“
MVFP impuls |Die deutsche Sektion von Reporter ohne Grenzen feiert in diesem Jahr ihr 30-jähriges Bestehen. Was waren aus Ihrer Sicht die größten Erfolge?
Katja Gloger | Wir haben 1994 mit 40 Gründungsmitgliedern klein angefangen, die »taz«-Redaktion in Berlin stellte einen Konferenzraum. Heute zählt die deutsche Sektion weit über 3.000 Mitglieder, wir sind Teil einer agilen internationalen Organisation mit Hauptsitz in Paris und Sektionen und Büros von Washington bis Taipeh. Unsere unabhängige Stimme wird gehört. Dieses Vertrauen ehrt uns – es ist zugleich Verantwortung und Verpflichtung, gerade in Zeiten, in denen unabhängiger Journalismus so unter Druck steht. Ein juristischer Meilenstein unserer Arbeit ist das sogenannte »BND-Urteil« des Bundesverfassungsgerichtes, das wir gemeinsam mit anderen Beschwerdeführern erstritten haben: Das Gericht urteilte, dass deutsche Behörden auch im Ausland an die Grundrechte unserer Verfassung gebunden sind und dass etwa der BND daher die Kommunikation ausländischer Medienschaffender besonders schützen muss. Mit unserer Nothilfe unterstützen wir seit 30 Jahren verfolgte und bedrohte Journalistinnen und Journalisten weltweit, auch im Exil. Dazu zählen Hunderte afghanische Medienschaffende nach der Machtübernahme der Taliban, aber auch belarussische und russische Kolleginnen und Kollegen, die nach dem Beginn von Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine ihre Heimat verlassen mussten.
Wie hat sich die weltweite Situation der Pressefreiheit in den letzten Jahrzehnten verändert?
Es ist nicht besser geworden mit der Freiheit der Presse, der Meinung und des Rechts auf unabhängige Information, in autoritären Regimen und Diktaturen ohnehin. Nach unserer Rangliste der Pressefreiheit lebt 2024 jeder zweite Mensch in einem Land der schlechtesten Bewertungsstufe »Sehr ernste Lage«. Die Mechanismen werden perfider, Überwachungssoftware ausgefeilter; Zensur und ökonomischer Druck, Diffamierung, Verfolgung und Unterdrückung sind für Tausende Journalistinnen und Journalisten und ihre Familien oft lebensgefährlicher Alltag. Der Krieg in Gaza kostete innerhalb eines Jahres mehr als 140 Medienschaffende das Leben, Dutzende starben in direktem Zusammenhang mit ihrer Arbeit. RSF hat bislang vier Strafanzeigen beim Internationalen Strafgerichtshof ICC wegen möglicher Kriegsverbrechen gestellt.
Wie schätzen Sie den aktuellen Stand der Pressefreiheit in Deutschland und Europa ein?
Die Lage in der EU ist im Schnitt gut. Aber auch in der EU wollen Regierende Medien kontrollieren oder durch nahestehende Unternehmer kontrollieren lassen – ein Blick nach Ungarn genügt. Und die Abbruchtrupps der Demokratie sind überall am Werk, auch in Deutschland, sie kommen vor allem von rechts. Das oft von Verschwörungserzählungen geprägte populistische Narrativ: Medien seien Teil einer vermeintlichen »woken« Elite, angeblich kontrolliert von den Mächtigen. Vertrauensverlust ist spürbar, und Medien haben sicher auch Anlass zu Selbstkritik. Aber Diffamierungen, Hass und auch körperliche Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten nehmen zu. Zudem stehen Verlage und Redaktionen unter massivem ökonomischem Druck. »Nachrichtenwüsten« entstehen auch in Deutschland. Und die Leerräume werden nur allzu gerne von rechtspopulistischen Vereinfachern besetzt.
Welche Maßnahmen sind aus Ihrer Sicht notwendig, um die Pressefreiheit in Deutschland und Europa besser zu schützen? Unabhängiger Journalismus braucht unabhängige Journalistinnen und Journalisten, die ihrem Handwerk nachgehen können. Und damit verantwortungsbewusste Verlegerinnen und Verleger, die der Medienkrise trotzen und ins Risiko gehen. Auch in Deutschland muss unabhängiger Journalismus immer wieder vor staatlichen Begehrlichkeiten geschützt werden, etwa, wenn es um Datenspeicherung oder Überwachung geht. Ein besserer Whistleblower-Schutz ist unabdingbar. Und Behörden sollten ihren Auskunftspichten nach dem Informationsfreiheitsgesetz besser nachkommen. Zwar kann man – wie etwa in skandinavischen Ländern – Medienvielfalt durchaus staatlich fördern. Gut auch, dass die Frage der Förderung von gemeinnützigem Journalismus intensiver diskutiert wird. Aber letztlich ist unabhängiger Journalismus nicht umsonst zu haben. Und wir wissen es ja längst: Die vermeintlich kostenlosen Informationen aus dem Internet sind natürlich nicht kostenlos. Wir zahlen mit unseren Daten.
Wie wirkt sich die Digitalisierung auf die Arbeit von Journalisten und auf die Pressefreiheit aus?
Milliarden Menschen erhalten ihre Informationen nur noch über die Big-Tech-Plattformen – und damit ihre auf Aggression und Skandal reagierenden Algorithmen. Es sind nahezu paradiesische Zeiten für Polarisierungsunternehmer, für Propaganda und Desinformation, für die sogenannten »alternativen Wahrheiten«, die so verführerisch einfach scheinen. All dies ist mehr als eine Bedrohung der Pressefreiheit – es ist eine Bedrohung des friedlichen Miteinanders, das auf Kompromissen baut. Die großen Plattformen tragen eine außerordentliche Verantwortung. Und es braucht ihre klare und umfängliche Regulierung mindestens auf europäischer Ebene, so schwer es auch ist. KI verschärft die Lage, sie birgt Gefahren für die Integrität der Informationen. Auch hier ist ein gemeinsames Regelwerk für den KI-Einsatz in den Medien notwendig. Dazu können ethische Grundsätze, klare Transparenz, Sicherstellung der Herkunft von Inhalten gehören – und die Entscheidung von Menschen sollte immer über den Vorschlägen der KI stehen.
Sie sind seit 2010 Vorstandsmitglied bei Reporter ohne Grenzen. Welche Ziele haben Sie sich bei Reporter ohne Grenzen für die nächsten Jahre gesetzt?
Unabhängiger Journalismus gehört zur – kritischen – Infrastruktur der Demokratie. Wir wollen die Freiheit der Presse und der Meinung weiterhin verteidigen, verlässlich und unabhängig und international vernetzt. Wir wollen konkret helfen und mit unserer Expertise zur Meinungsbildung beitragen, gerade in Zeiten der digitalen Massenkommunikation mit ihren gefährlichen Vereinfachern. Mehr denn je brauchen wir Journalistinnen und Journalisten, die unbeirrt nach der Wahrheit suchen, auch wenn es kompliziert ist.