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VDZ Hauptgeschäftsführer Stephan Scherzer spricht im HORIZONT-Interview über Allianzen und Innovationen | erschienen in HORIZONT 9/2018

HORIZONT, Ausgabe 9/2018, S. 10

Die Zeitschriftenverleger erwarten 2018 stabile Umsätze. Auf die Rückgänge im Anzeigen- und  Vertriebsgeschäft reagieren sie mit Allianzen, im Digitalen wachsen sie sowieso, und bei den Nebengeschäften haben sie sich vieles bei den Fachverlagen abgeschaut. Worauf es noch ankommt, verrät VDZ-Chef Stephan Scherzer im Interview mit HORIZONT.

HORIZONT | 2017 gab es 1.607 mindestens quartalsweise erscheinende Publikumszeitschriften. Die Zahl steigt von Jahr zu Jahr. Deuten Sie das erneut als Zeichen für die Innovationskraft der Verlage?

Stephan Scherzer | Die steigende Zahl der Titel ist in erster Linie ein Zeichen für das hohe Informationsbedürfnis der Menschen. Ob jede Neueinführung gleich eine Innovation ist, sei dahingestellt. Der Markt wird beständig segmentierter, weil die Menschen sich daran gewöhnt haben, zu wirklich jedem Thema etwas im Internet zu finden. Das bedienen die Verlage.

Stehe ich vor einem 5 Meter langen Supermarktregal mit Joghurts, habe ich Mühe, zu finden, was ich suche. Misst das Regal 15 Meter, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich nichts kaufe. Geht es so nicht längst auch Kioskbesuchern?

Sie haben recht. Das ist für jedes Produkt eine Herausforderung, auch für Zeitschriften. Umso wichtiger ist es, dass die Verkaufsstellen die Regale so organisieren, dass der Leser Lust hat, sich mit den Zeitschriften zu beschäftigen.

Wäre es an der Zeit für Konsolidierung?

Die Notwendigkeit einer Konsolidierung sehe ich nicht. Unternehmertum bedeutet, Neues zu schaffen...

... und zwar mit möglichst geringem Aufwand. Viele der neuen Titel werden von bestehenden Redaktionen nebenher produziert.

Es gibt eine Reihe hochwertig ausgestatteter Magazine, deren Wert die Menschen schätzen. Wie das Allensbach-Institut herausgefunden hat, werden gedruckte Medien positiv gesehen und die Copypreise nicht als zu teuer empfunden. An der Preisschraube lässt sich drehen. Das Potenzial ist längst nicht ausgereizt.

2016 setzten die Zeitschriftenverlage 14,8 Milliarden Euro um. Wachstum gab es nur im Digitalen und bei Nebengeschäften. Wie lief das Jahr 2017?

Nach derzeitigem Stand gehen wir für 2017 und auch für 2018 von einem stabilen Umsatz aus. Weiterhin dynamisch entwickeln sich die Nebengeschäfte mit E-Commerce, Datenbanken, Konferenzen, Seminaren, kurzum: die 360-Grad-Vermarktung. Da haben die Publikumszeitschriften vieles von den Fachverlagen adaptiert. Zeitlich ist mittlerweile alles an Fenstern besetzt, was zu besetzen ist: der Sonnabend, der Sonntag, online gilt ohnehin 24/7. Der Wettbewerb um Aufmerksamkeit ist hart. Es geht darum, wer am dichtesten an seinen Lesern ist.

Welche Branchentrends erwarten Ihre Mitglieder 2018?

Neben der 360-Grad-Vermarktung ist das die Vertikalisierung. Es geht darum, im Digitalen wie im Print noch mehr Inhalte für spezifische Zielgruppen aufzubereiten. Sonderpublikationen sind ein ganz großes Thema, darunter viele hochpreisige. Ein neues Thema ist die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine. Chat-Bots und KI sind wichtige Experimentierfelder. Den größten qualitativen Unterschied zwischen den Häusern wird aber ausmachen, wer Redaktion mit Technik am besten im Sinne der Leser kombiniert. Es ist angekommen, dass Technik das Fundament der Zukunft ist.

Springer hat dafür nun ein eigenes Vorstandsressort.

Und tut gut daran. Es ist höchste Zeit, die klügsten Inhalte- mit den klügsten Technikleuten zusammenzubringen. Das erschließt viel Potenzial, auch für kleinere Unternehmen – und für Allianzen.

Eine Allianz, die zu einer Konsolidierung führen könnte, wäre die sich anbahnende Ménage-à-trois im Vertrieb und bei der Vermarktung zwischen Burda, Bauer, Funke. Inwiefern setzt das kleine Verlage unter Druck?

Ich gehe davon aus, dass sich einige von ihnen den Großen anschließen werden.

Auf die Gefahr hin, dass ihre speziellen Bedürfnisse unberücksichtigt bleiben?

Nicht ohne Grund trennt sich Cicero von IQ Media und wechselt zum Emotion-Verlag Inspiring Network. Deshalb wäre es eine Überlegung wert, als kleiner Verlag mit vergleichbaren Häusern eigene Allianzen zu bilden. Fest steht: Google, Facebook und Amazon werden noch aggressiver, um in Zukunft noch mehr Marktanteile aus dem Werbebudget abschöpfen zu können. Darauf wird unsere Branche verstärkt reagieren.

Sind Allianzen der richtige Weg?

Was Verlage in der analogen Welt immer ausgezeichnet hat, war die Stärke ihrer Vielfalt. In der digitalen Welt erweist sich ihr Mangel an Plattformfähigkeit als Schwäche. Das ändert sich nun. Die Kooperationsbereitschaft steigt. Denken Sie an die Tolino-Allianz. Unter dem Druck des Marktes haben sich die härtesten Wettbewerber an einen Tisch gesetzt, um Amazons Kindle Paroli zu bieten. Mit Erfolg. Das ist motivierend. Ich sehe Allianzen sehr positiv, nicht nur in der Vermarktung und im Vertrieb, sondern auch im technischen Bereich.

Fürchten Sie, dass Sie bald einen ähnlichen Spagat hinlegen müssen wie der BDZV, wo die Konflikte oft zwischen großen und kleinen Häusern ausbrechen?

Den Spagat bekommen unsere Mitglieder bisher gut hin. Ich sehe diesen Konflikt bei uns nicht.

Neu in den VDZ treten insbesondere kleine Häuser ein.

Vorwiegend, ja. Wir haben mittlerweile über 500 meist mittelständische Unternehmen als Mitglieder. Es gibt auch Ausnahmen, zum Beispiel die Verlage Wort und Bild oder Konradin, die gerade bei den Publikumszeitschriften eingetreten sind. Der VDZ wird als Interessenvertretung gegenüber der Politik und als Ort des Wissenstransfers geschätzt.

Sind Allianzen wie die zwischen Bauer, Burda und Funke ein Weg, um Abtrünnige wie Bauer für den Fachbereich Publikumszeitschriften zurückzugewinnen?

Dazu nur so viel: Bauer weiß, was wir politisch leisten, und erkennt den Wert der VDZ-Community.

Die Grosso-Vereinbarung, die Bauer mitverhandelt hat, mag für Großverlage kostengünstiger sein. Häuser hochpreisiger Titel in kleinen Auflagen mit langen Erscheinungsrhythmen dagegen müssen höhere Margen zahlen.

Natürlich werden jetzt alle erst einmal rechnen.

Es soll Überlegungen geben, das Kartellamt anzurufen.

Da wissen Sie mehr als ich. Das Grosso-System ist neu aufgestellt, und es gibt Planungssicherheit für fünf Jahre. Das ist ein Gewinn für das System und für alle. Die Alternativen hätten wesentlich größere Unsicherheit bedeutet. Der Einsatz des VDZ für die GWB-Novelle hat ermöglicht, dass es bei den Grosso-Verhandlungen erstmals eine Verlagskoalition gab, die genutzt wurde.

Herr Scherzer, wir stehen kurz vor einer Regierungsbildung, so es denn zur Groko kommt. Was steht auf Ihrer Agenda?

Ganz oben steht die E-Privacy-Verordnung, gefolgt von Urheberrecht und EU-Verlegerrecht. Das sind drei zentrale Themen. Die Online-Expansion der Öffentlich-Rechtlichen in Schach zu halten, bleibt auf der Agenda, der reduzierte Mehrwertsteuersatz für Digitales soll kommen. Dass wir das NetzwerkDG lieber heute als morgen vom Tisch hätten, ist bekannt.

Und sonst?

Was mir Sorgen bereitet, sind die regulativen Ansätze der EU, mit Blick auf Fake News eine Rechtsprechung auf den Weg zu bringen. Bei der EU ist keine Kompetenz für die Entscheidung über den Kern des Presse- und Äußerungsrechts erkennbar. Das sieht man bei aktuellen Überlegungen, rechtmäßige Veröffentlichungen inhaltlich zu bewerten und in Abhängigkeit von dieser Bewertung als Fake News zu benachteiligen oder zu unterbinden. Die inhaltlichen Grenzen der Presse- und Meinungsfreiheit bestimmen allein die Gesetze der Mitgliedstaaten in ihrer Auslegung durch unabhängige Gerichte. Jede staatliche oder suprastaatliche Regulierung oder auch nur offizielle inhaltliche Bewertung von oder Warnung vor legalen Medienveröffentlichungen lehnen wir strikt ab. Fällt die Pressefreiheit, fallen alle anderen Freiheiten. //

Das Interview für HORIZONT führte Ulrike Simon.

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