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Stephan Scherzer im Interview mit medienpolitik.net: „Digitaler Journalismus muss am Markt refinanzierbar sein“

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Im Interview mit medienpolitik.net spricht VDZ-Hauptgeschäftsführer Stephan Scherzer über die wirtschaftliche Lage und die medienpolitischen Themen der Zeitschriftenbranche | erschienen am 24.02.2021 bei medienpolitik.net

www.medienpolitik.net (Screenshot vom 25.02.2021)

Viele Verlage haben mit den wirtschaftlichen Folgen des Corona-Lockdowns vor allem auf Grund rückläufiger Anzeigenerlöse und rückläufiger Print-Abos zu kämpfen. Wie bedrohlich ist die Situation für die Zeitschriftenverlage in Deutschland?

Scherzer: Verlage können Krise – allerdings ist der langanhaltende Lockdown und die damit verbundenen Einschränkungen sehr belastend für zahlreiche Geschäftsfelder. Die coronabedingten Beschränkungen haben zu massiven Einbrüchen im Konferenzgeschäft von bis zu 90 Prozent geführt – gerade für Fachverlage ist das ein gewaltiges Problem. Die neuen Digitalformate werden gut angenommen, aber die Profitabilität hinkt weit hinterher. Der Abverkauf an Flughäfen und Bahnhöfen ging deutlich zurück – insgesamt fehlen im Vertrieb rund 8 Prozent. Gleichzeitig summieren sich die Rückgänge im Anzeigengeschäft auf etwa 10 Prozent. 2021 bleibt schwierig – vor allem im ersten Halbjahr. Es wird darauf ankommen, ob die Impfkampagne wirkt und damit die Last vom Gesundheitssystem genommen wird. Es muss Öffnungskonzepte für den gesamten Kulturbetrieb geben, für Hotellerie, Gastronomie und Tourismus. Gerade Special Interest- und Fachverlage sind eng mit diesen Bereichen verbunden.

Sie haben im März vergangenen Jahres die Corona-Krise als einen „nie dagewesenen Stresstest für alle Systeme“ bezeichnet. Wie haben die Zeitschriftenverlage diesen Stresstest bestanden?

Die gute Nachricht: die Nachfrage nach vertrauenswürdigen Informationen hat deutlich zugenommen. Die Redaktionen der Zeitschriftenverleger haben über alle Kanäle hinweg wohl mehr Menschen erreicht als jemals zuvor. Die Logistik hat bis jetzt über alle Bereiche gut funktioniert. Im Lebensmitteleinzelhandel ist der Absatz sogar gestiegen. Positiv ist außerdem, dass die Abos recht stabil geblieben sind und in einigen Segmenten sogar gewachsen sind. Auch digitale Bezahlinhalte werden mehr nachgefragt denn je. Erstmals erzielen die Zeitschriftenverlage mit Paid Content 2020 mehr als 200 Millionen Euro Umsatz. Gleichzeitig legten die digitalen Reichweiten um bis zu 30 Prozent zu.

Bei Zeitungsverlagen sind die Abos für Digitalangebote bei vielen Titeln schneller gewachsen als in den vergangenen Jahren. Wie ist das bei den Zeitschriften, gibt es einen ähnlichen Trend?

2021 erwarten wir ein Wachstum von 10 bis 20 Prozent bei den digitalen Lesereinnahmen. Die Nachfrage nach redaktionellen vertrauenswürdigen Inhalten steigt und die Verlage haben die passenden Angebote. Der Umsatz vom Leser ist die zentrale Erlösquelle für fast alle Verlage, nach wie vor mit Print als starker und profitabler Basis.

Sie üben Kritik an der 220 Millionen Euro-Förderung des Bundes. Was ist gegen eine Förderung des digitalen Vertriebs einzuwenden? Schließlich erfordert das doch für die Verlage erhebliche Investitionen.

Grundsätzlich ist die Förderung der Zustellung der richtige Weg – Zeitschriften und Zeitungen würden damit gleichermaßen, fair und diskriminierungsfrei gefördert. Allerdings muss sich der Staat gerade bei der Presse steuernd und lenkend aus den unternehmerischen Entscheidungen heraushalten. Das aktuelle Förderkonzept des Bundes hat die Förderung in den Rahmen der digitalen Transformation eingebettet. Das ist schwierig, weil es potenziell in die Strategie der Verlage eingreift. Die Unternehmer kennen ihre Märkte besser als der Staat. Das Bundeswirtschaftsministerium erarbeitet gerade die Förderrichtlinien; der VDZ liefert dazu Marktdaten, um auch hier eine faire Förderung der Zeitschriften zu erreichen. Zuwendungsempfänger sind jene Verlage, die Abonnementzeitungen, -zeitschriften und Anzeigenblätter in Deutschland physisch zustellen. Der VDZ spricht sich dafür aus, einen möglichst großen Anteil der Mittel an die reale Zustellung zu koppeln. So soll sich die Förderung an den Kosten pro Stück ausrichten, die bei der Zustellung durch private Anbieter oder die Post entstehen. Das sind Werte, die man diskriminierungsfrei nehmen kann.Wir sind der Überzeugung, dass ein langfristiges Förderkonzept notwendig ist. Einer der größten Kostenblöcke für Zeitschriftenverlage ist die Zustellung. Dieser Faktor beeinflusst das gesamte Geschäft, Print wie digital. Wir haben daher die sich immer schneller drehende Preisspirale der staatsbeteiligten Post genau im Blick: Die Postpreise wurden in den letzten Jahren um das Vielfache der Inflationsrate erhöht. Diese Kostensteigerung sind für viele Verlage kurz- und mittelfristig nicht durchhaltbar.

Aber ist die Förderung des BWMi nicht de facto die von Ihnen geforderte Vertriebsförderung?

Die Förderrichtlinie wird aktuell im Wirtschaftsministerium erarbeitet. Der VDZ spricht sich dafür aus, einen möglichst großen Anteil der Mittel an die reale Zustellung zu koppeln. So soll sich die Förderung an den Kosten pro Stück ausrichten, die bei der Zustellung durch private Anbieter oder die Post entstehen. Das sind Werte, die man diskriminierungsfrei nehmen kann.

Welche politischen Alternativen gäbe es zu dieser Förderung, um den Zeitschriften wirtschaftlich zu helfen?

Um eine wirtschaftlich gesicherte Zukunft der Zeitschriftenbranche für die nächsten Jahre zu gewährleisten, mahnen wir seit Beginn der Corona-Krise ein Belastungs-Moratorium an. Aktuell ist es in der Politik in Deutschland und in der EU nicht ersichtlich, dass die staatsunabhängige, privatwirtschaftlich organisierte und finanzierte Presse in ihren gedruckten wie digitalen Erscheinungsformen mit voller Überzeugung unterstützt wird. Themen wie steigende Zustellungskosten, die fatale E-Privacy-Verordnung, das unsägliche Lavieren beim Urheberrecht, die Verkürzung der Abo-Laufzeiten oder Totalregulierung des Telefonmarketings sind auch ohne Corona-Folgen existenzbedrohend. So würde die E-Privacy-Verordnung in der jetzigen Fassung praktisch alle digitalen Geschäftsmodelle der Verlage bedrohen, und damit die Finanzierung und Verbreitung privater Presse extrem schwächen. Gewinner wären die Digitalmonopole, die sich ins Fäustchen lachen und ihr Glück mit den handelnden Akteuren in den Parlamenten in Berlin und Brüssel kaum fassen können. Die Bundesregierung gibt hier ein schlechtes Bild ab. Wenn schon kein großer Wurf möglich ist, müssen die einzelnen Themen doch mindesten so umgesetzt werden, dass sie die freie Presse im Wettbewerb stärken und nicht schwächen. Pressefreiheit und -vielfalt schützt die Meinungsfreiheit aller Bürger und ist damit eine tragendende Säule der Demokratie.

Die EU-Kommission hat Ende des vergangenen Jahres die Entwürfe für den Digital Service Act (DSA) und Digital Markets Act (DMA) vorgestellt, mit denen globale Plattformen reguliert werden sollen. Wie bewerten Sie die Entwürfe der EU-Kommission?

Die im Dezember vorgestellten Vorschläge der EU-Kommission zur notwendigen und längst überfälligen Regulierung von Torwächterplattformen, also der Regulierung des Marktverhaltens von marktdominanten Unternehmen, greifen deutlich zu kurz. Beim DMA sehen wir mit großer Sorge, dass effektivere Regeln in den Mitgliedsstaaten im Kartell- und Wettbewerbsrecht sowie im deutschen Medienstaatsvertrag in Teilen unmöglich werden könnten. Der DMA muss mit ernsthaftem politischem Willen zu einem robusten Instrument der Regulierung und Zähmung der Torwächterplattformen ausgestaltet werden – ohne Schlupflöcher und Hintertüren. Eine Schwächung der Regeln für Torwächterplattformen wäre ein Brandbeschleuniger. Auch bei den Vorschlägen zum für alle Plattformen geltenden DSA haben wir allergrößte Sorgen für die Presse- und Meinungsfreiheit in Europa: Wir fürchten, dass die im DSA vorgesehene Inhalteregulierung zu einem europäischen Netzwerkdurchsetzungsgesetz und so zu einem Risiko für journalistische Digitalangebote werden könnte, die gesetzlich zu einer spezifischen Inhaltekontrolle gezwungen werden könnten.

Ist das ausreichend, um die internationalen Plattformen wie Google in ihrer wirtschaftlichen Macht zu beschränken?

Wer jetzt noch nicht verstanden hat, dass es notwendig ist, Digitalmonopole in ihrer Marktmacht zu begrenzen, dem ist nicht mehr zu helfen. Prognosen zeigen, dass kurzfristig 70 Prozent der globalen Digitalerlöse bei den Megaplattformen landen! Wir brauchen eine Regulierungsbehörde auf europäischer Ebene und in den Mitgliedsstaaten mit dem entsprechenden Rechtsrahmen. Sie muss schnell und wirksam auf Marktverstöße der Torwächterplattformen reagieren können.

Am Entwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie gibt es von Ihnen vor allem Kritik an der Bagatellklausel, weil das die Entwicklung von Paid-Content gefährden würde. Aber können einige 100 oder 200 Zeichen die Nutzer wirklich davon abhalten, für die hochwertigen digitalen Angebote der Verlage zu bezahlen?

Die EU-Urheberrechtsrichtlinie ist bereits ein mühsam erstrittener Kompromiss. Sie gibt den Mitgliedsstaaten einen besseren Schutz der Urheber und Rechteinhaber gegenüber den Megaplattformen. Umso unverständlicher und geradezu gefährlich sind die Abweichungen des Kabinettsbeschlusses von der EU-Vorlage. Wenn eine Schranke käme, die es den Megaplattformen erlaubt, 50, 100, 200 Zeichen, einzelne Wörter oder sehr kurze Textausschnitte, ohne Zustimmung der Rechteinhaber hochzuladen, ist das fatal für die Entwicklung von Paid Content im Journalismus und höhlt das Urheberrecht komplett aus. Verlierer wären all diejenigen, die journalistische Inhalte aufwendig erstellen und am freien Markt refinanzieren. Gewinner wären dagegen Google und all jene Unternehmen, die sich Geschäftsmodelle ausdenken, wie man die jeweilige Zeichenanzahl distribuieren und als Umfeld gut vermarkten kann. Wir kämpfen in Brüssel und Berlin für faire Wettbewerbsbedingungen und stellen die erwartbaren Folgen dar, wenn der deutsche Gesetzgeber die EU-Verordnung nicht eins zu eins umsetzt: Digitaler Journalismus muss am Markt refinanzierbar sein und die Rechteinhaber müssen selbst entscheiden können, wie ihre Inhalte vertrieben und vermarktet werden. Nur die Eins-zu-eins-Umsetzung der EU-Vorlage erfüllt diese Kriterien – alles andere ist ein Angriff auf die Urheber, ganz im Sinne der Torwächterplattformen.

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