Ihr direkter
Weg zu uns.

Navigation
Werbeverbot, Werbeeinnahmen, Werbung, ZAW, BDZV

ZAW: Keine evidenzbasierte Politik – BMEL kündigt weitgehendes Totalwerbeverbot für Lebensmittel an

Nachrichten Medienpolitik

Die vom BMEL vorgestellten Eckpunkte für Werbeverbote im Lebensmittelsektor sind nach Auffassung des ZAW nicht geeignet, zu einer nachhaltigen Reduktion von Übergewicht bei Kindern beizutragen. Die Agenda des Hauses ist einer Vielzahl gut belegter Einwände ausgesetzt.

ZAW-Präsident Andreas F. Schubert bewertet die Eckpunkte: „Das Ministerium arbeitet am falschen Ende. Noch in der letzten Woche wurde gegenüber dem ZAW, Verbänden der Lebensmittelwirtschaft und der Werbeträger/Medien vom BMEL (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft) bestätigt, dass dem Ministerium keine Wirksamkeitsstudien vorliegen, die einen positiven Einfluss von Werbeverboten auf das Ernährungsverhalten und eine Verringerung der Übergewichtsrate von Kindern belegen. Ungeachtet dessen, geht man heute weit über den Koalitionsvertrag hinaus. Die untaugliche Verbotspolitik nimmt in Kauf, die Refinanzierung von Medien und Sport weitgehend zu beschädigen und den Wettbewerb, darin eingeschlossen den Markterfolg von Innovationen, auszuschalten.“

Besonders kritikwürdig aus der Sicht des ZAW ist, dass das Ministerium nicht nur Reality-Checks und Folgeabschätzungen ausgeklammert, sondern seine Pläne schlichtweg irreführend beschrieben hat.

Dies gilt im Hinblick auf die betroffenen Produkte wie auch unter dem Gesichtspunkt der erfassten Werbeformen und Kanäle.

  • Mit der WHO-Bezugnahme würden rund 80 Prozent der verarbeiteten Lebensmittel produktseitig erfasst. Die von der WHO 2015 in einem intransparenten Prozess erarbeiteten Nährwertprofile teilen das Lebensmittelangebot anhand einiger weniger Nährstoffe in vermeintlich „gute“ (im wesentlichen unverarbeitetes Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte, Fleisch und Fisch) und „schlechte“ (alle anderen) Lebensmittel ein und schließen von vorn herein – ohne Nährwertgrenze – ganze Produktgruppen per se von der Bewerbung aus.

Anders als verlautbart, ist das WHO-Verbotsmodell jedoch weder ein verbreiteter noch erfolgreicher Politikansatz:

  • Das WHO-Verbotsmodell ist nicht Bestandteil verbindlicher europäischer Regulierung und Gesetzgebung.
  • Es ist nicht Grundlage der Regulierung wie auch der Selbstregulierung zur Werbung in Österreich und Spanien.
  • In Portugal, dem einzigen Land, im dem es (modifiziert) herangezogen wird, liegt die Übergewichts- und Adipositasrate von Kindern doppelt so hoch wie in Deutschland. Ebenso ist die Lage in UK, wo knapp jedes dritte Kind betroffen ist – obwohl hier seit Jahren eine Verbotsregulierung gilt, die dem vorgestellten Ansatz des BMEL weitgehend entspricht.

Die Aussagen zu den erfassten Werbemaßnahmen bedeuten, anders als vom BMEL heute mitgeteilt, dabei ein nahezu geschlossenes generelles Werbe- und Sponsoringverbot.

Trotz Berufung auf den Koalitionsvertrag will das BMEL in erster Linie nicht an Inhalte und Aussagen in der Werbung, die sich spezifisch an Kinder richten, anknüpfen.

  • Immer dann, wenn Produkte beworben werden, die eine bunte Aufmachung haben, soll das Verbot greifen.
  • Zudem ist geplant die Außenwerbung zu verbieten, wenn sie innerhalb einer Bannmeile von 100 Metern um Orte, an denen sich Kinder typischerweise aufhalten, installiert ist. Dies bezieht sich, wie mitgeteilt, auf alle Lebensmittel, die unter das WHO-Verbotsmodell fallen, also mindestens 80 Prozent aller Lebensmittel.
  • Nicht nur Medien, die sich an Kinder spezifisch richten, sollen als Werbeträger für die klare Mehrheit der Lebensmittel ausgeschlossen sein. Lebensmittel sollen im Fernsehen und Internet generell zwischen 6.00 und 23.00 Uhr nicht mehr beworben werden dürfen, wenn sie unter die WHO-Kriterien fallen. Davon betroffen sind ebenfalls mindestens 80 Prozent aller verarbeiteten Lebensmittel.

„Die Behauptung des BMEL, es gehe um zielgerichtete Vorschläge, ist irreführend. Tatsächlich ist eine massive Überregulierung geplant. Hierfür gibt es jedoch keine tragfähige Grundlage. Weder politisch, noch rechtlich und auch ernährungs- bzw. medienwissenschaftlich. Lebensmittel sind nicht per se gesund oder ungesund. Vielmehr finden alle Lebensmittel in einer ausgewogenen Ernährung ihren Platz. Werbeverbote gehen zudem an den lebenswirklichen Herausforderungen vorbei. Die Wirkung von Werbung im Hinblick auf den kategorialen Verzehr von Salz, Zucker und Fett wird vom BMEL verkannt. Werbung für Lebensmittel hat Einfluss auf die Marktanteile beworbener Produkte. Sie ist erwiesenermaßen aber nicht in der Lage, das Ernährungsverhalten von Kindern ungünstig in Richtung Übergewicht zu beherrschen. Heute wurde emotional angekündigt, evidenzbasierte Fakten sind dabei aber auf der Strecke geblieben“, ergänzt Bernd Nauen, Hauptgeschäftsführer ZAW.

Die Gründe für kindliches Übergewicht sind tatsächlich multikausal und deshalb nicht monokausal mit Werbeverboten zu lösen. Zielführend sind ganzheitliche Ansätze, die den gesamten Lebensstil in den Blick nehmen, die Ernährungs- und Medienkompetenz stärken und dabei der deutlich gestiegenen Bewegungsarmut von Kindern Rechnung tragen – so auch aufgezeigt in der aktuellen WHO/OECD-Studie zur angewachsenen Bewegungsarmut in EU-Ländern. Die Vorschläge des BMEL schweigen hierzu.

Auch mit Blick auf die besonderen Möglichkeiten des Staates bei der Gemeinschaftsverpflegung in Kitas und Schulen für eine bessere Ernährungsumgebung Sorge zu tragen und eine proaktive Ernährungsbildung aufzusetzen, bleibt es bei bloßen Ankündigungen. Dabei ist Übergewicht und Adipositas in sozio-ökonomisch benachteiligten Bevölkerungskreisen überproportional ausgeprägt. Mit Werbeverboten wird die Lebens- und Ernährungsrealität in benachteiligten Familien jedoch nicht nachhaltig verbessert, wie eine Vielzahl von public-health Analysen und die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen.

Der ZAW teilt die Zielsetzung, Übergewicht bei Kindern zu bekämpfen. Der besondere Schutzbedürftigkeit von Kindern gilt es bei der Lebensmittelwerbung Rechnung zu tragen. Die Werbewirtschaft hat sich hierauf verpflichtet. Sie hat die Regeln in 2021 verschärft und setzt sie durch. Aussagen und Inhalte, die einer ausgewogenen Ernährung entgegenstehen, sind in der Lebensmittelwerbung gegenüber Kindern nicht zulässig.
 

Weiterführende Informationen des ZAW sowie Fakten und Evidenz zu Übergewicht und Werbeverboten lesen Sie hier.

Druckansicht Seite weiterempfehlen