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VZV Nord, Philipp Welte, Journalismus

Philipp Welte beim VZV Nord: „Pluralismus in Gefahr“

Nachrichten Medienpolitik

116. Verlegerabend des Verbands der Zeitschriftenverlage Nord | Dinner-Speech von Burda-Vorstand Philipp Welte

Philipp Welte als Dinner-Speaker beim VZV Nord (Foto: Karen Müller)

116. Verlegerabend des VZV Nord (Foto: Patrick Lux)

Peter Strahlendorf (re.) im Gespräch mit Gerhard Melchert, Kelter Verlag (Mitte), und Frank Kohl-Boas, ZEIT Verlagsgruppe. (Foto: Patrick Lux)

VZV Nord-Geschäftsführer Wolfgang Linnekogel (li.) im Gespräch mit Dr. Alfons Schräder (Heise Verlag). (Foto: Patrick Lux)

Seit 1988 führt der Verband der Zeitschriftenverlage Nord e.V. vierteljährlich stattfindende Verlegerabend durch. Mitte März fand der bereits 116. Verlegerabend statt, am neuen Standort „Hafenklub Hamburg“.  Vor Mitgliedern des VZV Nord sowie Gästen aus der Hamburger Politik,  Wirtschaft und Presse hielt Philipp Welte, Vorstand Hubert Burda Media, Vizepräsident VDZ und PZ Vorstandssprecher, eine Dinner Speech über Perspektiven der Zeitschriftenbranche.

Rückläufige Werbeumsätze in erheblichem Ausmaß habe Google & Co durch ihre epochale und alles überrennende gigantische Wirtschaftsmacht sehr vielen Verlagen beschert. Hinzu komme das  geänderte Einkaufsverhalten der Verbraucher: Wer online kaufe, komme viel seltener als bisher am Zeitschriftenregal oder am Kiosk vorbei. Es sei nicht mit einem Aufruf zu noch mehr Qualitätsjournalismus und hochwertigen Inhalten oder Bezahlschranken getan. Vielmehr müsse der Öffentlichkeit sehr viel deutlicher als bislang klargemacht werden, dass die Arbeit einer freien und seriösen Presse für den Fortbestand unserer westlichen freien Demokratien unverzichtbar ist. Daher müsse auch der VDZ seine Kräfte weiter auch auf diese Aufgabe fokussieren. 

Die von Peter Strahlendorf, Vorsitzender des Vorstands des VZV Nord, moderierte Diskussion zeigte das große Interesse an den von Philipp Welte aufgezeigten Themen.

Auszug aus der Rede von Philipp Welte beim 116. VZV-Verlegerabend am 19. März 2019 in Hamburg über die „Zukunft des Journalismus, Zukunft der Verlage“:

„Wir leben in einer Zeit, in der die Marktwirtschaft vor dem Kapitalismus in Schutz genommen werden muss“, schrieb Gabor Steingart vor ein paar Tagen in seinem Morning Briefing. Das sind sehr wahre Worte – die Realität indes ist deutlich dramatischer. Angesichts des hegemonialen Strebens US-amerikanischer Gigakonzerne in den Medienmärkten des 21. Jahrhunderts sehe ich eine sehr konkret gewordene ökonomische Bedrohung für die Verbreitung hochwertiger journalistischer Inhalte.

Konsequent zu Ende gedacht: Wir stehen mitten in einem epischen Kampf, in dem es um den freien Journalismus, die freie Meinung und am Ende um die Kraft unserer pluralistischen Demokratie in Deutschland geht – leider heute schon einer der letzten Staaten auf unserem Planeten, in denen die Presse tatsächlich noch frei ist.

Auf dem Werbemarkt, jahrzehntelang zweitwichtigste Quelle zur Finanzierung journalistischer Angebote, gibt es heute Wachstum nur noch bei Google, Facebook und Amazon – der ganze Rest der medialen Angebote, digital oder gedruckt, schrumpft und ringt teilweise schon um das nackte Überleben. Die Dimensionen dieser Hegemonie sind gewaltig:

1. Jeder vierte Werbedollar, der irgendwo auf diesem Planeten ausgegeben wird, landet heute schon bei Google oder Facebook, und Amazon beginnt gerade erst, sich für den Angriff auf den Werbemarkt warmzulaufen. Google erwirtschaftete im letzten Quartal einen Werbeumsatz von 33 Milliarden US-Dollar – das ist mehr als das Volumen des gesamten deutschen Werbemarktes in einem Jahr. Allein in Deutschland kamen Google, Facebook und Amazon 2018 auf einen Werbeumsatz von über 5 Milliarden Euro und damit auf das Sechsfache der Werbeerlöse aller über 2.000 deutschen Publikumszeitschriften zusammen.

2. In keinem Land der Welt wird das digitale Nachrichtengeschäft so stark geprägt von Angeboten der Verlage. Die TopTen Nachrichtenangebote in Deutschland kamen im Februar zusammen auf hervorragende 2 Milliarden Visits, und acht dieser Top Ten Nachrichtenangebote von traditionellen Verlagen. Aber von den etwa 8 Milliarden Euro, die in Deutschland in diesem Jahr in digitale Werbung investiert werden, bleiben noch knapp über 2 Milliarden, wenn Google, Facebook und Amazon ihren Appetit gestillt haben. Und dieser Rest verteilt sich auf Tausende von inhaltlichen Online-Angeboten, um diesen Rest kämpfen Hunderte von Verlagen – und sind doch chancenlos, weil die drei digitalen Gozillas schlicht unersättlich sind.

In letzter Konsequenz bedeutet all die sich ausbreitende Hegemonie nicht weniger als eine Gefahr für das journalistische Fundament des einzigartigen Pluralismus´ in unserem Land. Wir Verlage verstehen uns als die Heimat des Journalismus in unserer Demokratie, als Heimat der freien Information. Wir stehen für die ehrliche, ungeschminkte Berichterstattung aus der Wirklichkeit, gerade auch dann, wenn dieser Blick in die Realität unangenehm ist. Wie aber schaffen wir es, hochwertigen Journalismus auch in Zukunft marktwirtschaftlich zu finanzieren?

Evolutionen verlangen Anpassungsfähigkeit und das nicht nur in der Technologie, auf die wir setzen. Die wichtigste Seite der Veränderung betrifft uns: unsere Strukturen, unsere Prozesse, mehr noch unsere Kultur. Sind wir bereit für das 21. Jahrhundert? Wenn wir unserer Verantwortung gerecht werden wollen, sehe ich zwei große Herausforderungen für uns Verlage:

Erstens sind wir noch viel zu oft gefangen im wettbewerblichen Denken aus den 90er Jahren. Anstatt uns souverän und selbstbewusst gegen die letale Bedrohung von außen aufzustellen, kämpfen wir in einem winzigen Reservat, das uns in diesem Markt noch geblieben ist, gegen unsere eigentlich natürlichen Weggefährten: gegeneinander.

Zweitens müssen wir in unserem politischen System gemeinsam deutlich machen, dass es ein unauflösbares Band gibt zwischen der Freiheit der Medien in einer Gesellschaft und der Kraft einer Demokratie. Wer als politisch Verantwortlicher die Freiheit einer Gesellschaft will, der muss auch dafür Sorge tragen, dass wir Verlage unserer Aufgabe, unserer Rolle in einer pluralistischen Gesellschaft, auch unter den wirtschaftlichen Bedingungen des 21. Jahrhunderts gerecht werden können. 

Diese Grundüberzeugung, dieser Glaubenssatz muss uns als Branche einen: dass diese wunderbare Demokratie, in der wir leben dürfen, unsere journalistische und verlegerische Arbeit braucht, um frei zu bleiben.“

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