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Christoph Singelnstein, Pressefreiheit, Interview

„Ich bin ein Kulturoptimist“

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Im PRINT&more-Interview spricht rbb-Chefredakteur Christoph Singelnstein über Pressefreiheit, Journalismus und Digitalisierung | erschienen in PRINT&more 1/2020

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PRINT&more | Für wie bedroht halten Sie die Pressefreiheit in Deutschland?

CHRISTOPH SINGELNSTEIN | Ich halte die Pressefreiheit in Deutschland überhaupt nicht für bedroht. Ich glaube, dass unsere Gesellschaft stark genug ist, Pressefreiheit zu „ertragen“, sich leisten zu können – und trotz allen Gegenwindes ist es noch immer ein Land, in dem es eine so vielfältige Medienlandschaft gibt wie kaum sonst auf der Welt. In der Umfrage von „Reporter ohne Grenzen“ ist Deutschland immer ganz oben mit dabei. Wir müssen uns hier bisher keine ernsthaften Gedanken machen.

Nehmen Sie eine Bedrohung für den rbb wahr?
Natürlich nehmen wir wahr, dass Reporterinnen und Reporter nicht überall wohlgelitten sind. Bei der Live-Schalte einer Nachrichtensendung zu den Vorgängen in Thüringen laufen zwei junge Menschen vorbei und rufen „Lügenpresse“ in die Kamera. Das bleibt einem nicht verborgen. Ich finde nur, man sollte es nicht überdramatisieren. Für die betroffenen Kollegen ist es sehr unangenehm und in zugespitzten Situationen kann es bedrohlich werden. Wenn eine Rednerin auf einer großen Veranstaltung sagt: „Und da übrigens stehen die Kollegen vom rbb“, dann ist das als Bedrohung gemeint und wirkt auch so. Dann muss man was tun und die Kollegen schützen. Aber ich sehe nicht, dass wir eine permanente Bedrohungssituation haben.

Womit sollte sich der Journalismus künftig profilieren? Wo sehen Sie den Journalismus in Zukunft?
Ich glaube nicht, dass Journalismus sich profilieren muss, sondern dass wir Journalisten unsere Arbeit ordentlich machen müssen. Wenn wir richtig recherchieren, unabhängig berichten und uns nicht gemein machen mit wem auch immer, dann werden wir Vertrauen erhalten. Je diffuser im Netz und in den sozialen Medien die Möglichkeit wird, sich zu informieren, desto größer wird auch unser Potenzial sein. Die Menschen haben schlicht Sehnsucht danach, sich bei jemandem zu informieren, von dem sie annehmen können, dass er seriös arbeitet. Der Grundsatz, wie recherchiere ich, wie gehe ich mit Nachrichten um, wie positioniere ich mich. Das ist Handwerk. Sie sehen, ich schaue zuversichtlich in die Zukunft, ich bin ein Kulturoptimist.

Was tut der rbb gegen die Diskreditierung der Medien als „Lügenpresse“?
Sprache ist nichts, was man durch eine Rundfunkanstalt oder durch eine Zeitung und Zeitschrift beeinflussen kann. Sprache entsteht. Der Begriff „Lügenpresse“ ist ein Kampfbegriff einer rechtsnationalen Gruppe von Menschen. Wenn sie den für richtig halten, sollen sie den benutzen. Ich muss ihn mir nicht zu eigen machen. Ist es sinnvoll, Diskussionen auch mit jenen zu führen, die die Medien als „Lügenpresse“ massiv ablehnen? Jein. Zum Sprechen gehören immer zwei. Wenn jemand partout nicht mit mir reden will, dann kommt auch kein Gespräch zustande. Das ist vergebene Liebesmühe. Transparent machen, wie bestimmte Dinge entstehen, ist im Einzelfall eine gute Idee. Ich kann unmöglich jeden Tag transparent machen. Dann sind die Nachrichten doppelt so lang und haben nur halb so viel Informationswert. Diese Rechtfertigungsrhetorik finde ich unnötig. Wenn ich eine große Geschichte mache und bestimmte Zustände anprangere, mache ich das so transparent wie möglich. Auch das ist journalistisches Handwerk. Wie ich zu bestimmten Erkenntnissen komme, muss ich darlegen. Da ist es angemessen und richtig. Aber in der  Auseinandersetzungsrhetorik halte ich es nicht für ein geeignetes Mittel. Der rbb hat große Veranstaltungsräume für Formate, bei denen Sie Interessierte oder Kritiker zu Gesprächen einladen können.

Machen Sie das?
Wir haben seit anderthalb Jahren das Format „Den rbb grillen“. Da fahren wir zu den Leuten hin und die Menschen können uns alles fragen, was sie bewegt. Im Durchschnitt kommen um die 100 Menschen. Nicht diejenigen, die uns komplett ablehnen, was manche enttäuscht. Aber auch jene, die uns wertschätzen, wollen gerüstet sein, um beispielsweise haltlosen Sprüchen am Stammtisch etwas entgegenhalten zu können. Dafür ist es gut, so eine Veranstaltung zu machen. Das macht Spaß.

Wir arbeiten bei der Schülerveranstaltung zum Tag der Pressefreiheit zusammen. Warum sind Sie der Meinung, dass es sich lohnt, bei jungen Menschen als rbb vertreten zu sein?
Da muss man fein säuberlich Marketing und Bildung auseinanderhalten. Der Tag der Pressefreiheit fällt für mich unter die Rubrik „Bildung“. Sich mit jungen Menschen darüber auseinanderzusetzen, was der Wert von Pressefreiheit ist, wie sie geschützt wird, welchen Rahmen wir in Deutschland haben, was die Aufgabe von Zeitungen und Zeitschriften ist, von kommerziellen und öffentlich-rechtlichen, elektronischen Medien. Es gibt viele Länder, da ist Journalist ein lebensgefährlicher Beruf. Deutlich zu machen, was für einen hohen Wert wir mit der Pressefreiheit haben, das finde ich gut und mir gefällt, dass wir über Auftrags-und Interessenunterschiede hinweg gemeinsam den Wert der Pressefreiheit darstellen.

„Wir umarmen die Digitalisierung. Sie ist das Beste, was uns passieren konnte“, sagte kürzlich ZEIT-Geschäftsführer Dr. Rainer Esser. Sehen Sie das ähnlich?
Das ist eine alte menschliche Erfahrung: „Kämpfe nicht gegen etwas an, das du nicht verhindern kannst, sondern umarme es.“ Insofern hat er komplett recht. Die Digitalisierung und die damit verbundene Globalisierung sind so einschneidend in unsere Abläufe, Gewohnheiten, Kommunikationsstrukturen, mit besonderen Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen, aber natürlich auch mit unendlich vielen Chancen. Das iPhone ist jetzt elf Jahre alt. Wie sehr wir inzwischen mit diesem Teil verbunden sind und was wir damit alles machen – ich möchte das nicht missen, weil es mir das Leben erleichtert. Die Kehrseite ist, dass durch Digitalisierung die Arbeitsverdichtung zunimmt, dass Prozesse sehr viel schneller sind und ich mich schneller bewegen muss, dass es Menschen gibt, die einen leichteren Zugang zu solchen technischen Hilfsmitteln haben als andere. Das schafft ein Gefälle. Auch wenn ich mir anschaue, wie leichtfertig wir heute mit unseren Daten umgehen. Als jemand, der in einer Diktatur groß geworden ist, weiß ich, was es bedeutet, wenn man Daten missbrauchen möchte. Nicht zu kommerziellen, sondern zu politischen Zwecken. Das alles hat eine Schattenseite, aber es hat auch ganz viele gute Seiten.

Wie gehen Sie beim rbb mit neuen Technologien wie KI um?
KI ist ein schillernder Begriff. Erst mal ist sie nichts anderes als eine relativ ausgefeilte Computertechnik, basierend auf eins und null. Tatsächlich hatten wir die Überlegung, dass wir uns mit dem Thema KI intensiver beschäftigen müssen. Es stellte sich dann aber heraus, dass in ganz vielen Stellen im Haus längst mit KI gearbeitet wird – nur als solche gar nicht wahrgenommen wird. Dann haben wir gebündelt: Was gibt es schon? Wo haben wir Bedarf? Was gibt es außerhalb des rbb auf dem Markt an Systemen, die wir nutzen und uns leisten könnten? Gibt es Bereiche, wo es für uns interessant sein könnte, speziell etwas zu entwickeln? KI ist für uns kein Schreckensbegriff. Und es ist ein Irrtum anzunehmen, dass künstliche Intelligenz den Menschen ersetzt. Es ist einfach ein Begriff, der für so viel steht, aber nicht dafür, dass es nachher lauter Roboter gibt, die menschlich fühlen.

Wenn Sie auf Ihre vielen Jahre beim rbb zurückblicken: Was ist Ihnen am positivsten oder am negativsten in Erinnerung geblieben?
Am positivsten in Erinnerung ist mir die Zeit nach der Gründung des ORB, des Ostdeutschen Rundfunks Brandenburg. Das ist nicht zu toppen! Du hast eine grüne Wiese und baust eine neue Rundfunkanstalt nach aktuellen Erfordernissen. Das waren sehr intensive, schöne Zeiten. Für die, die es miterlebt haben, war es außergewöhnlich, weil um uns herum sehr vieles den Bach runterging. Denn im Freundes- und Bekanntenkreis haben viele ihre Arbeit verloren, mussten umschulen. Aber diejenigen, die beim ORB gelandet sind, hatten plötzlich wieder eine Perspektive für lange Zeit. Da nimmt man die Welt anders wahr. Das war eine tolle Zeit. Eine schwierige Zeit war die Fusion von ORB und SFB, dem Sender Freies Berlin. Da prallten zwei Unternehmenskulturen aufeinander, die wenig voneinander hielten, wenig voneinander wussten und es auch nicht alle wollten. Das haben wir Gott sei Dank bewältigt.

Welches Medium bzw. Verlags- oder Rundfunkformat ist Ihr liebstes?
Ich lese alles gern, was gut geschrieben ist, ich höre alles gern, was gut produziert ist, ich sehe alles gern, was mich entweder gut unterhält oder mir etwas vermittelt, das ich noch nicht wusste oder so noch nicht wusste.

// Das Interview führte Antje Jungmann.

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