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Medienpolitik, EU, Presseförderung

„Notgedrungen ist die Presseförderung auch 2023 für Zeitschriften ein herausragendes Thema“

International Medienpolitik

Im medienpolitik.net-Interview mit Helmut Hartung spricht Prof. Christoph Fiedler, Geschäftsführer Europa- und Medienpolitik beim Medienverband der freien Presse, darüber, welchen Einfluss nationale und europäische Gesetzgebungen auf die Arbeit des MVFP haben und welche großen Themen sich dadurch unter anderem für die medienpolitische Agenda herausstellen.

www.medienpolitik.net (Screenshot vom 23.01.2023)

medienpolitik.net: Herr Fiedler, mit welchen medienpolitischen Themen wird sich Ihr Verband 2023 vor allem beschäftigen? Welchen Einfluss hat die EU-Gesetzgebung auf die Arbeit Ihres Verbandes?
Prof. Dr. Christoph Fiedler | Das Ausmaß, in dem Politik die Existenzbedingungen privater Zeitschriftenmedien mitbestimmt, nimmt zu. Für 2023 stehen wenigstens vier Themen weiterhin oben auf der – längeren – Agenda: Presseförderung, sogenanntes EU-Medienfreiheitsgesetz, Datenschutzrecht und der faire Pressevertrieb auf digitalen Monopolplattformen. Dabei steigt die Bedeutung der Brüsseler Politik im Zuge der fortlaufenden Machtausdehnung der EU. Selbst die Presseförderung hat eine europapolitische Komponente, da sie von der Kommission gebilligt werden muss. Die Regulierung der Digitalmonopole durch die EU-Kommission auf der Grundlage des Digital Markets Act (DMA) und durch das Kartellamt auf der Grundlage des GWB ist sowohl ein nationales als auch ein europäisches Thema. Gleiches gilt für den Datenschutz mit dem Entwurf einer Einwilligungsverwaltungsverordnung auf der Grundlage des TTDSG und der in Brüssel weiter verhandelten E-Privacy-Verordnung. In beiden Fällen bleibt allerdings der nationalen Regulierung nur, was das vorrangige EU-Recht übriglässt. Schließlich soll das als Medienfreiheitsgesetz titulierte Vorhaben der EU-Kommission insbesondere auch die gedruckte Presse erstmals europäischer Regulierung unterwerfen und dementsprechend bislang nationale Gesetzgebungskompetenz verdrängen.

 

1. Ordnungspolitisch unbedenkliche Förderung von Zeitschriften und Zeitungen
Notgedrungen wird eine ordnungspolitisch unbedenkliche Förderung von Zeitschriften und Zeitungen auch 2023 ein herausragend wichtiges Thema sein. Die Ampel-Koalition hat sich aus sehr gutem Grund dazu verpflichtet, die „flächendeckende Versorgung mit periodischen Presseerzeugnissen zu gewährleisten“. Diese Gewährleistung erfasst Zeitschriften und Zeitungen gleichermaßen. Sie ist einschlägig, wenn Zeitungen in bestimmten Gebieten nicht mehr wirtschaftlich zugestellt werden können. Sie ist ebenso einschlägig, wenn Zeitschriften ihr Erscheinen einstellen müssen und dann nirgendwo mehr zugestellt werden, weder auf dem Land noch in der Stadt.

Eine diskriminierungsfreie Förderung insbesondere auch der Zeitschriften ist dringend notwendig. Während die Zeitschriftenverlage die hohen Kosten des digitalen Wandels trotz schmerzhafter Einbußen noch tragen könnten, sind die in keiner Weise beeinflussbaren Kostensteigerungen insbesondere für Papier, Druck und anderweitig nötige Energie sowie Postzustellung zu viel.

Bis 2024 sind 30 Prozent der Zeitschriftentitel stark in ihrer Existenz gefährdet. Das sind über 2.000 von über 7.000 Zeitschriftentiteln. Das zeigt eine Branchenanalyse der Unternehmensberatung Schickler, die gemeinsam mit dem VDZ im März/April 2021 durchgeführt wurde.
Die Gefährdungslage stellt sich heute noch sehr viel dramatischer dar. Weder die Papierpreisexplosion noch das Ausmaß der Mindestlohnerhöhungen im Jahr 2022 noch die auch außerhalb des Papierpreises wirksamen Steigerungen der Energiekosten konnten zur Zeit der Datenerhebung berücksichtigt werden. Insbesondere im Zuge exorbitanter Papierpreiserhöhungen hat sich die Lage derart verschärft, dass in kürzerer Frist Titeleinstellungen drohen.
Diese Existenzgefährdung gilt den Titeln als solchen – mit gedruckten und digitalen Ausgaben. Beide sind in aller Regel publizistisch wie ökonomisch unverzichtbar, um das jeweilige Medium und seine Redaktion zu erhalten.

„Ein Missverständnis wäre die Vorstellung, eine Förderung von Zeitschriften- und Zeitungsmedien anhand bspw. der zugestellten oder verbreiteten Stücke sei keine Förderung der Digitalisierung, um die es doch allein gehe.“

Damit droht großer Schaden für die demokratienotwendige Pressefreiheit. Die ca. 7.000 gedruckt wie digital erscheinenden Zeitschriftenmedien sind für unsere Gesellschaft, Wirtschaft und Demokratie nötiger denn je: Die Zeitschriftenredaktionen sichern die vertiefte private, berufliche und politische Information und Bildung jenseits der Tagesaktualität. Diese Leistung ist ebenso einmalig und unersetzbar wie die Leistung der Tagespresse. Während die Tagespresse allgemeinverständlich über alles berichtet, was das Schlaglicht der Tagesaktualität erfasst, berichten die Zeitschriften vertieft und nachhaltig über alle Themen, die Menschen beruflich und privat interessieren müssen oder die sie aus Neigung besser verstehen wollen. Zugleich bringen Zeitschriften all diejenigen aktuellen Nachrichten aus ihrem Berichtsbereich, die die Schwelle zum Interesse des allgemeinen Publikums nicht überwinden.

Deshalb ist es dringend erforderlich, dass die Koalition eine ordnungspolitisch unbedenkliche Förderung von Zeitschriften und Zeitungen umsetzt. Von größter Bedeutung ist dafür ein nicht selektiver und objektiver Maßstab der Förderung, der den Wettbewerb innerhalb der Presse nicht verzerrt. Ein mögliches Beispiel dafür könnte die Anknüpfung an versendete oder verbreitete oder zugestellte Exemplare von Zeitschriften und Zeitungen sein. In all diesen Fällen wird an eine inhaltsneutrale Größe angeknüpft, die zugleich ein Indikator für die Belastung mit den vor allem die gedruckte Presse treffenden exorbitanten Kostensteigerungen ist.

Wichtige Vertreter der Regierungskoalition äußern Verständnis und Unterstützung für eine diskriminierungsfreie und ordnungspolitisch unbedenkliche Förderung insbesondere auch der Zeitschriften. Dennoch hat die Bundesregierung bislang nicht erkennen lassen, welche Pläne sie für eine Förderung hegt. Es soll sogar die Frage des federführenden Ressorts wieder aufgeworfen worden sein. Ein Missverständnis wäre jedenfalls die Vorstellung, eine Förderung von Zeitschriften- und Zeitungsmedien anhand bspw. der zugestellten oder verbreiteten Stücke sei keine Förderung der Digitalisierung, um die es doch allein gehe. Diese Vorstellung erläge ihrerseits dem Missverständnis, gedruckte und digitale Varianten eines Titels seien als getrennte Publikationen zu denken, die unabhängig voneinander existieren und finanziert würden und ohne Rücksicht auf die Wünsche der Leserinnen und Leser gegeneinander austauschbar seien. Tatsächlich muss jede Publikation ihre Leserschaft nach deren Wünschen in digitaler und gedruckter Form versorgen und aus den Gesamteinnahmen aller Verbreitungswege Redaktion, Geschäftsbetrieb und Investitionen in die Digitalisierung finanzieren. Die Rolle der gedruckten Auflagen ist deshalb wenigstens eine vierfache:

Zig Millionen Menschen lesen bewusst gedruckte Presseerzeugnisse und haben ein Anrecht darauf. Ebenso haben Verlage und Redaktionen die Aufgabe und das Recht, diese Nachfrage durch gedruckte Ausgaben zu bedienen.
Gedruckte Zeitschriften und Zeitungen haben einen eigenständigen Informations- und Bildungswert, den digitale Medienangebote nicht vollständig ersetzen.
Die gedruckten Ausgaben sind für die Finanzierung der Redaktionen insgesamt und damit auch für die digitalen Angebote unverzichtbar.
Die gedruckten Ausgaben sind für die Finanzierung der digitalen Transformation, d. h., für die erfolgreiche Anpassung der publizistischen und ökonomischen Konzepte an die zunehmende Digitalisierung, unverzichtbar.
Es zeigt sich, dass gerade die Anknüpfung der Förderung an die gedruckte Verbreitung sachgerecht und ordnungspolitisch unbedenklich ist. Die Förderung erfolgt zur Abfederung der von den Verlagen nicht beherrschbaren Kosten, die aber ganz wesentlich auf Seite der nach wie vor publizistisch wie ökonomisch unverzichtbaren gedruckten Ausgaben entstehen. Mit der Anknüpfung bspw. an zugestellte Exemplare steht die Förderung in Relation zur Höhe dieser nicht beherrschbaren Kosten. Außerdem wird so jede Verzerrung des publizistischen und wirtschaftlichen Wettbewerbs der Titel und Gattungen vermieden.

 

2. Datenschutzrecht
Die verbreitete Auffassung des Rechts der Datenverarbeitung als Verbraucherschutzrecht greift schon lange zu kurz. Es handelt sich in weiten Teilen um Wirtschaftsverwaltungsrecht, das mit seinen weiter zunehmenden Datenverarbeitungsverboten maßgeblich über eine Vielzahl legitimer Geschäftsmodelle mitentscheidet. Insbesondere die Voraussetzungen marktwirtschaftlich finanzierter digitaler Presse sind durch die restriktive Anwendung bestehender und durch die Planung noch restriktiverer Gesetze bedroht. Die seit über 10 Jahren immer weiter verschärften Verbote der Verarbeitung von Daten zu Marketing-, Werbe- und sonstigen gewerblichen Zwecken haben zu einem Rechtsrahmen geführt, in dem digitale Angebote nur noch mit einer Vielzahl von Einwilligungen eines jeden Lesers betrieben, geschweige denn finanziert werden können.

Wenn die Politik digitale Presseangebote so weitgehend von komplexen Einwilligungen abhängig gemacht hat, muss sie im zweiten Schritt zumindest sicherstellen,

  • dass die Verlage diese Einwilligungen praktisch einholen können (Abfragerecht, kein Abfrageverbot),
  • dass den Presseangeboten erteilte Einwilligungen nicht einfach von Torwächtern ignoriert werden (Pflicht zur Umsetzung von Website-Einwilligungen für Browser etc.)
  • und dass die Einwilligung in Datenverarbeitung zu legitimen Zwecken eine Bedingung für den Zugang zu Angeboten sein kann.

Sowohl die E-Privacy-Verordnung, die in Brüssel weiterverhandelt wird, als auch jede denkbare Einwilligungsverwaltungsverordnung des BMDV müssen einen solchen Schutz des Vorrangs der Individualeinwilligung vor generellen Settings sicherstellen, wollen sie nicht die digitale Presse massiv beeinträchtigen und gefährden. In beiden Fällen scheint das Ergebnis nicht ausgemacht.

„Die seit über 10 Jahren immer weiter verschärften Verbote der Verarbeitung von Daten haben zu einem Rechtsrahmen geführt, in dem digitale Angebote nur noch mit einer Vielzahl von Einwilligungen eines jeden Lesers betrieben, geschweige denn finanziert werden können.“

 

3. Diskriminierungsfreier und fairer Zugang zu digitalem Pressevertrieb durch Monopolplattformen
Es ist ein unabweisbarer Befund, dass ein immer größerer Anteil der Kommunikation von den großen Plattformunternehmen gesteuert oder jedenfalls kontrolliert wird. Auch ein wachsender Anteil der Verbreitung digitaler Zeitschriften und Zeitungen wird so durch Google & Co. gesteuert oder wenigstens kontrolliert. Diese sog. Torwächter entscheiden zunehmend über die Reichweite und die Monetarisierung von Publikationen und damit gleichzeitig darüber, welche Leser welche Publikation zu Gesicht bekommen. Solange es sich dabei um vernachlässigbare Anteile der Presseverbreitung handelt, mag man der Willkür der Monopole des Plattforminternets gelassen zusehen. Diese Zeiten sind allerdings vorbei. Initiativen wie der Digital Markets Act der EU oder § 19a GWB verfolgen deshalb zu Recht den Ansatz, diese Torwächter auf diskriminierungsfreien und fairen Zugang der Marktteilnehmer zu den jeweils kontrollierten Plattformen zu verpflichten. Offen ist allerdings, ob die Regelungen weit genug gehen, und noch drängender die Frage, ob die zur Umsetzung der neuen Regelungen berufenen Beamten in Brüssel und Bonn in der Lage und gewillt sind, die Verpflichtungen in Realität umzusetzen.

 

4. EU-Medienfreiheitsgesetz
Der Vorschlag für ein sogenanntes EU-Medienfreiheitsgesetz untersagt es Verlegerinnen und Verlegern von Publikationen mit Nachrichten zu allgemeinen Themen, Entscheidungen über redaktionelle Inhalte zu treffen. Ist die Redaktionslinie einmal „vereinbart“, müssen die Redakteurinnen und Redakteure unabhängig vom Verleger entscheiden können. Diese Regelung würde der redaktionellen Freiheit der Presseverlage ein Ende setzen. Pressefreiheit besteht wesentlich und alternativlos in der Freiheit der Verlegerinnen und Verleger zur Entscheidung über redaktionelle Inhalte, sei es im Allgemeinen oder im Einzelfall, ebenso wie über die Zusammensetzung der Redaktionen. Pressefreiheit bedeutet m. a. W., dass ein jeder eine Pressepublikation mit beliebigen Inhalten verlegen und die Inhalte frei bestimmen darf. Die Vielfalt der Presse ist außenplural. Sie ergibt sich aus der Vielfalt der jeweils für sich freien Pressepublikationen. Staatliche Begrenzungen der inhaltlichen Freiheit der Verleger und Verlegerinnen zur Entscheidung über die redaktionellen Inhalte sind keine Beförderung, sondern eine Beseitigung dieser Essenz der Pressefreiheit. Diese Freiheit ist auch deshalb selbstverständlich, weil letztlich allein die Verlegerin oder der Verleger die moralische, politische, rechtliche und wirtschaftliche Verantwortung für ihre jeweilige Zeitschrift oder Zeitung tragen.

Ebenso wenig akzeptabel sind die Vorschläge, die die gesamte gedruckte und digitale Presse erstmals einer behördlichen Aufsicht durch eine europäische Medienbehörde unterstellen, deren Aktivitäten ganz maßgeblich von der EU-Kommission mitbestimmt werden. Noch ist offen, ob das EU-Parlament und die Mitgliedsstaaten bereit sind, diesen als Schutz der Pressefreiheit für einige Staaten ausgegebenen Angriff auf die Pressefreiheit in ganz Europa abzuwehren.

Wenig erfreulich sind darüber hinaus die Vorschläge zu bloßen Verfahrensrechten der Presse im Falle der Sperrung durch Torwächterplattformen. Die EU hat sich im Digitale Dienste Gesetz (DSA) ganz bewusst geweigert, rechtmäßige Presseinhalte gegen die AGB-Zensur von Plattform-Monopolen zu schützen. Das Medien­freiheitsgesetz soll nun den Verlagen Verfahrensrechte vor der Sperrung rechtmäßiger Inhalte einräumen, bekräftigt damit aber noch zweifelsfreier den Willen der EU, die Pressefreiheit im Plattforminternet abzuschaffen und der Willkür der Monopole zu überantworten. Stattdessen bleibt es dabei, dass die Freiheit rechtmäßiger digitaler Presse von der Zensur digitaler Monopole normiert werden muss, soll Pressefreiheit im Zeitalter des Plattforminternet nicht nur auf dem Papier stehen.

 

5. Weitere Themen
Weitere wichtige Themen können hier nur erwähnt werden:

  • Beschränkung des Abonnementvertriebs durch Pläne einer sog. Bestätigungslösung für telefonisch geschlossene Verbraucherverträge
  • Eindämmung wettbewerbsverzerrender öffentlich-rechtlicher Angebote, insbesondere öffentlich-rechtlicher Presse
  • EU-Regulierung politischer Werbung
  • EU-Regulierung künstlicher Intelligenz
  • Verteidigung medialer Werbefreiheit gegen neue Werbebeschränkungen aus Berlin und Brüssel
  • 11. GWB-Novelle
  • Pläne zur Einführung der Gemeinnützigkeit von Journalismus im Steuerrecht
  • Reduzierte Mehrwertsteuer
  • E-Evidence-Verordnung der EU
  • Urheberrecht
  • Netzneutralität
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